Emerald: Hörspiel
Hände. Er brach den Pfeil mit einem scharfen Knacken ab. Emma wimmerte, aber sie hielt die Augen geschlossen. Er tat das Gleiche mit der Pfeilspitze, die ihr aus dem Rücken ragte. Diesmal entschlüpfte ein leiser, zitternder Schrei Emmas Lippen. Ihre Hände waren wie zum Gebet ineinander verschränkt und Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Gabriel hatte beschlossen, den blutbesudelten Pfeilschaft in ihrem Körper zu belassen. Er ragte nur noch jeweils ein kleines Stück aus
Bauch und Rücken und sorgte wenigstens dafür, dass sich die Blutung in Grenzen hielt. Das Gift allerdings hatte schon seinen Weg in Emmas Blut gefunden. Gabriel hob das Mädchen auf und wandte sich der zweiten Bogenöffnung von links zu. Er ging so schnell, wie er es wagte.
»Michael und Kate sind nicht zurückgekommen«, sagte Emma mit schwacher, zitternder Stimme, die gegen seine Brust gedämpft klang. »Ich dachte … ich dachte, sie würden mir zuliebe zurückkommen.«
»Du solltest nicht sprechen. Du brauchst deine ganze Kraft.«
Die Zeit war ihr größter Feind. Er wusste, dass er sie so schnell wie möglich aus dem Berg schaffen und in sein Dorf bringen musste. Granny Peet, die weise Frau des Stammes, konnte sie heilen. Aber würde Emma so lange überleben? Und was war mit ihm? Das gleiche Gift, mit dem der Pfeil präpariert war, hatte auch an den Schwertern der Kreischer geklebt. Gabriel hatte ein halbes Dutzend Wunden auf den Armen und einen langen Schnitt an seiner Seite. Er fühlte das Gift wie Eis in seinem Blut dem Herzen zuströmen.
Und wo waren die beiden anderen Kinder? Waren sie durch das Labyrinth gegangen, in der Annahme, dass Emma hinter ihnen war? Früher oder später hätten sie ihren Irrtum bemerkt und wären umgekehrt. Aber Kammern und Tunnel waren leer; nichts rührte sich, und Gabriel wurde klar, dass die Chancen, Kate und Michael wiederzufinden, immer geringer wurden. Hatten sie sich verlaufen? Oder hatte irgendjemand – oder etwas – sie aufgespürt? Diese Tunnel mochten leer wirken, aber es gab Leben in ihnen …
Gabriel schaute zu Emma hinunter. Ihre Augen waren geschlossen und sie atmete flach und schnell. Kleine Schweißperlen
glänzten auf ihrem Gesicht. Sie würde es nicht bis ins Dorf schaffen. In einer der unzähligen Kammern blieb er stehen und legte sie ab. Es gefiel ihm gar nicht, dass er hier haltmachen musste, aber er hatte keine andere Wahl. Er zog ihr vorsichtig das T-Shirt hoch, um die Wunde freizulegen. Das Gift hatte sich ausgebreitet. Von der Wunde aus verliefen schwarze Linien sternförmig in alle Richtungen. Auf der bleichen Haut sahen sie aus wie eine große schwarze Spinne, die ihre Beine ausstreckte.
Er nahm einen kleinen Lederbeutel zur Hand und schüttete den Inhalt aus: verschiedene Arten von Blättern, eine knorrige Wurzel, ein Fläschchen mit einer gelblichen Flüssigkeit. Er legte den Beutel flach auf den Boden und zerkrümelte die Blätter darauf. Sie waren staubtrocken und zerfielen zu einem feinen Pulver.
»Was machen Sie da?« Emma hatte die Augen geöffnet. »Ich muss deine Wunde behandeln. Der Pfeil war vergiftet.« Mit seinem Messer schnitt Gabriel von der Wurzel zwei dünne Scheiben ab und zerkleinerte sie zu winzigen Stückchen, die er unter die gemahlenen Blätter mischte. Dann zog er den Stopfen aus dem Hals des Fläschchens und ließ vorsichtig drei Tropfen auf die Mischung fallen. Wurzeln und Blätter zischten und rauchten. Mit der Messerklinge zerdrückte Gabriel alles zu einem bräunlichen Brei.
»Sie haben sich wegen mir verlaufen, nicht wahr, Gabriel?« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich hätte nicht weglaufen dürfen. Sie haben gemerkt, dass ich nicht mehr da war, und sind zurückgegangen, um mich zu suchen. Dabei haben sie sich verirrt. So war es doch, oder? Es ist alles meine Schuld. Sie müssen sie finden, Gabriel. Sie dürfen sich nicht um mich kümmern, sondern müssen sie suchen.«
»Ich werde sie suchen und ich werde sie finden, und wenn ich alle Frauen und Männer meines Dorfes mitbringen müsste.« Er tauchte den Finger in den braunen Brei. Er roch warm und torfig und klebte an seinem Finger. »Aber erst muss ich für dich sorgen.«
»Nein …«
»Keine Widerrede.«
Gabriel strich die Paste auf die Wunde auf Emmas Bauch, und Emma hielt den Atem an, um nicht aufzuschreien. Wo der Brei die Wundränder berührte, warf er Blasen und zischte. Emma glaubte, er würde geradewegs durch ihre Haut brennen.
Nach einer Weile, als sie
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