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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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demselben Grunde würde es mir nicht unlieb sein, wenn Emil von vornehmer Abkunft wäre. Immer würde dadurch dem Vorurtheile ein Opfer entrissen werden.
    Ich betrachte Emil als Waise, wenn er auch noch Vater und Mutter hat. Durch Uebernahme ihrer Pflichten trete ich auch in alle ihre Rechte. Seinen Eltern soll er Ehrerbietung erweisen, Gehorsam dagegen nur mir allein. Das ist meine erste oder vielmehr meine einzige Bedingung.
    Freilich muß ich noch eine hinzufügen, die jedoch nur eine notwendige Folge derselben ist, daß man uns nämlich ohne unsere ausdrückliche Zustimmung nie von einander trennen darf. Diese Bedingung ist durchaus nothwendig, und ich wünschte sogar, der Erzieher und der Zögling betrachteten sich in so hohem Maße unzertrennlich, daß ihr Lebensloos eine ihnen gemeinsame Aufgabe bildete. Sobald ihnen ihre dereinstige Trennung stets vor Augen schwebt, sobald sie den Augenblick voraussehen, von dem an sie sich wieder fremd entgegentreten werden, so sind sie es schon; jeder schmiedet seine besonderen Pläne, und Beide, stets mit der Zeit beschäftigt, wo sie nicht mehr beisammen sein werden, bleiben es nur noch widerwillig. Der Schüler sieht in dem Lehrer nur noch den Aufpasser und den Quälgeist seiner Kinderjahre; der Lehrer erblickt dagegen in dem Schüler nur noch eine drückende Last, nach deren Abnahme er sich herzlich sehnt; beide sehnen sich gleich sehr nach dem Augenblick, der sie von einander erlösen soll, und da unter ihnen nie eine aufrichtige Zuneigung geherrscht hat, wird es der Eine eben so sehr an Wachsamkeit wie der Andere an Gelehrigkeit fehlen lassen.
    Wenn sie dagegen ihre Lebenswege als unzertrennlich mit einander verbunden betrachten, wird Jeder sich die Liebedes Andern zu gewinnen suchen, und schon durch dieses Streben allein werden sie einander werth. Der Zögling fühlt sich nicht beschämt, in seiner Jugend den Ratschlägen eines Freundes folgen zu müssen, der ihm auch, wenn er erwachsen ist, seine Freundschaft nicht entziehen wird, und der Erzieher gibt sich mit ganzer Seele Sorgen und Mühen hin, deren Frucht er pflücken soll; alle die Verdienste, die er sich bei der Erziehung seines Zöglings erwirbt bilden ein Capital, das ihm in seinem Alter zu Gute kommt.
    Ein solcher schon im Voraus abgeschlossener Vertrag setzt natürlich eine glückliche Niederkunft, ein wohlgebildetes kräftiges und gesundes Kind voraus.
    Ein Vater darf keine Vorliebe haben und kein Glied der Familie, die Gott ihm schenkt, auf Kosten der Andern bevorzugen; alle seine Kinder sind in gleicher Weise seine Kinder; allen ist er die nämliche aufmerksame Pflege schuldig. Ob sie verkrüppelt sind oder nicht, ob sie siech sind oder kräftig, jedes von ihnen ist ein anvertrautes Gut, über welches er dermaleinst dem, aus dessen Hand er es empfängt, wird Rechenschaft ablegen müssen; und die Ehe ist ein Vertrag, der nicht weniger mit der Natur als zwischen den Eheleuten abgeschlossen wird.
    Wer sich aber nun freiwillig einer Pflicht unterzieht, welche ihm die Natur keineswegs auferlegt hat, muß sich vorher auch der Mittel, sie zu erfüllen, versichern, sonst macht er sich für die ungenügende und mangelhafte Erfüllung selbst verantwortlich. Wer sich mit der Sorge für einen schwächlichen und kränklichen Zögling belastet, vertauscht seinen Erzieherberuf mit dem Dienste eines Krankenwärters; er verliert seine Zeit damit ein unnützes Leben zu pflegen, anstatt er sie einzig und allein der Aufgabe widmen sollte, den Werth eines Menschenlebens zu erhöhen. Er setzt sich selbst der Gefahr aus, daß ihm eines Tages eine trostlose Mutter den Tod ihres Sohnes, welchen er ihr lange Zeit künstlich erhalten hat, zum Vorwurf macht.
    Ich würde gewiß nicht die Last der Erziehung eines kränklichen und durch und durch ungesunden Kindes aufmich nehmen, und sollte es auch sein Dasein bis zum höchsten Greisenalter fristen. Ich will nichts von einem Zögling wissen, der weder sich noch Andern Nutzen schaffen kann, der sein ausschließliches Augenmerk auf seine leibliche Erhaltung richtet, und dessen eigener Körper der Erziehung der Seele hinderlich in den Weg tritt. Durch die vergebliche Verschwendung meiner Sorgen an denselben würde ich nur den Verlust der Gesellschaft verdoppeln und ihr statt eines Menschen gleich zwei entziehen. Ich habe nichts dagegen, wenn sich statt meiner ein Andrer mit diesem Schwächlinge befaßt, und ich kann seinem Liebeswerk meine Billigung nicht versagen, allein mir ist diese

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