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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Mann, als er die Wahrnehmung gemacht habe, daß ihn, den Sohn, schon frühzeitig seine Neigung zu den Frauen hinziehe, nichts unversucht gelassen habe, um dieselbe zu unterdrücken. Als sich jedoch der Vater nicht mehr habe verhehlen können, daß der Sohn aller aufgebotenen Sorgfalt ungeachtet Mienemache, sich der väterlichen Überwachung gänzlich zu entziehen, sei er auf den Einfall gerathen, ihn in ein Hospital für Syphilitische zu führen. Ohne ihn vorher davon in Kenntniß zu setzen, habe er ihn in einen Saal eintreten lassen, in welchem eine große Anzahl dieser Unglücklichen unter einer mit furchtbaren Schmerzen verbundenen Kur für den ausschweifenden Lebenswandel, der sie hierher geführt, habe büßen müssen. Bei diesem gräßlichen Anblicke, der alle Sinne zu gleicher Zeit aufgeregt, sei der junge Mensch beinahe unwohl geworden. »Geh, elender Wüstling,« habe ihm darauf der Vater in heftigem Tone zugerufen, »folge der verächtlichen Neigung, die dich fortreißt; bald wirst du dich nur allzu glücklich fühlen, in diesem Saale Aufnahme zu finden, wo du, ein Opfer der schimpflichsten Schmerzen, deinen Vater zwingen wirst, Gott für deinen Tod zu danken.«
    Diese wenigen Worte im Vereine mit dem ergreifenden Gemälde, welches sich vor den Augen des jungen Mannes entrollte, machten einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn. Durch seinen Stand dazu verurtheilt, seine Jugend in Garnisonstädten zu verleben, ertrug er lieber alle Spöttereien seiner Kameraden, als daß er sich dazu verstanden hätte, ihre Ausschweifungen nachzuahmen. »Ich bin auch ein Mensch gewesen,« sagte er zu mir, »und habe meine Schwächen gehabt, aber bis in mein jetziges Alter habe ich nie eine öffentliche Dirne ohne Grausen anzusehen vermocht.« Lehrer, wenige Worte, lerne aber Ort, Zeit und Personen wählen; und ferner gehe bei all deinem Unterrichte von Beispielen aus, dann kannst du des Erfolges sicher sein.
    Auf die Anwendung des Kindesalters kommt nicht viel an. Fehler, die sich während desselben einschleichen, lassen sich noch heilen, und das Gute, zu dem vielleicht der Keim gelegt wird, kann auch später nachgeholt werden. Anders verhält es sich aber mit der ersten Periode des Jünglingsalters, in der der Mensch erst eigentlich zu leben beginnt. Mit Rücksicht auf die Anwendung, die man von diesem Alter machen soll, darf man wol behaupten, daß es nie lange genug dauere, und daß seine Wichtigkeit eine ununterbrocheneAufmerksamkeit erheische. Deshalb lege ich ein ganz besonderes Gewicht auf die Kunst, es zu verlängern. Eine der besten Vorschriften in Bezug auf die richtige Anwendung desselben ist, Alles so viel als möglich zu verzögern. Richtet es so ein, daß alle Fortschritte langsam und sicher seien. Verhindert, daß der Jüngling in dem Augenblicke Mann werde, wo ihm seinerseits nichts mehr zu thun übrig bleibt, um es zu werden. So lange der Körper noch im Wachsthume begriffen ist, werden auch die Lebensgeister, welche die Bestimmung haben, dem Blute Balsam und den Fibern Kraft zu verleihen, gebildet und bereitet. Wenn ihr sie aber veranlaßt, eine andere Richtung zu nehmen, wenn das, was zur völligen Ausbildung eines Individuums bestimmt ist, zur Bildung eines anderen dienen muß, dann werden alle Beide dem Zustande der Schwäche verfallen, und das Werk der Natur bleibt unvollkommen. Auch die Geistesthätigkeiten leiden unter dieser Vergeudung der Lebenssäfte, und die Seele, welche die Kraftlosigkeit des Körpers theilt, zeigt sich in ihren Verrichtungen schwach und matt. Große und kräftige Glieder bringen eben freilich weder Muth noch Genie; ich begreife recht wohl, daß die Seelenstärke nicht die Begleiterin der Körperkraft sein kann, wenn die Organe, auf denen die Vereinigung der Seele und des Leibes beruht, im Uebrigen von schlechter Beschaffenheit sind. Wie gut sie indeß auch immer beschaffen sein mögen, so werden sie doch stets nur eine schwache Thätigkeit auszuüben vermögen, wenn sie ihre Kraft nur aus einem erschöpften, verarmten Blute ergänzen können, dem gerade jene Substanz fehlt, welche allen Federn der Maschine Kraft und Bewegung verleiht. Im Allgemeinen bemerkt man bei Männern, die in ihren Jünglingsjahren vor einer frühzeitigen Verderbniß behütet worden sind, mehr Seelenstärke als bei solchen, bei welchen ein ausschweifendes Leben schon in dem Augenblicke begann, wo sie sich befähigt fanden, sich demselben zu überlassen. Hierin liegt auch ohne Zweifel einer der Gründe,

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