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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Bedrängten, einen Abenteurer machen? Soll er sich in die öffentlichen Angelegenheiten mischen? Soll er vor den Großen, vor den Obrigkeiten und vor dem Regenten die Rolle des Weisen und des Vertheidigers der Gesetze spielen? Soll er vor den Richtern als Anwalt und vor den Gerichtshöfen als Sachwalter auftreten? Von dem Allen ist mir nichts bekannt. Scherzhafte und verunglimpfende Namen ändern an der Natur der Sache nichts. Er wird einfach Alles thun, was nach seinem Dafürhalten nützlich und gut ist. Mehr wird er nicht thun, und er weiß, daß für ihn nichts nützlich und gut ist, was außerhalb der Sphäre seines Alters liegt. Er weiß, daß seine erste Pflicht verlangt, die Pflichten gegen sich selbst zu erfüllen, daß junge Leute sich selbst nicht trauen dürfen, daß sie in ihrem Benehmen vorsichtig, in Gegenwart älterer Leute ehrerbietig, in ihren Aeußerungen, wenn sie nicht gefragt werden, zurückhaltend und maßvoll, bei gleichgiltigen Dingen bescheiden, aber im Gutesthun beherzt und im Bekenntniß der Wahrheit muthig sein müssen. So handelten jene berühmten Römer, welche, bevor ihnen der Zutritt zu den öffentlichen Aemtern gestattet wurde, ihre Jugend unter Verfolgung der Verbrechen und Verteidigung der Unschuld verlebten, ohne dabei irgend ein anderes Interesse zu verfolgen, als sich zu unterrichten, während sie der Gerechtigkeit dienten und den guten Sitten förderlich waren.
    Emil liebt weder Lärm noch Streit, und zwar nicht nur nicht unter Menschen, [16] sogar selbst nicht unterThieren. Nie hetzte er zwei Hunde zusammen, nie hetzte er einen Hund auf eine Katze. Diesen friedlichen Sinn verdankt er seiner Erziehung, welche dadurch, daß sie niemals der Eigenliebe und der hohen Meinung von ihm selbst Nahrung gegeben, ihn davon abgehalten hat, im Ausübender Herrschaft und im fremden Unglücke seine Unterhaltung zu suchen. Er leidet, sobald er leiden sieht; das ist ein natürliches Gefühl. Was die Schuld trägt, daß ein junger Mann hartherzig wird und an dem Anblicke der Leiden eines empfindenden Wesens Gefallen findet, ist lediglich das Wiederauftauchen der Eitelkeit, die ihm den Wahn einimpft, als ob ihm dergleichen Leiden in Folge seiner Weisheit oder seiner Ueberlegenheit nie nahen könnten. Derjenige, welchen man vor dieser Verirrung des Geistes geschützt hat, kann auch nicht in den Fehler verfallen, welcher aus derselben entspringt. Emil liebt also den Frieden; das Bild des Glückes macht einen angenehmen Eindruck auf ihn, und wenn er dazu beizutragen vermag, dasselbe um sich her zu verbreiten, so erblickt er darin ein Mittel mehr, selbst daran theilzunehmen. Nichts berechtigt mich zu der Annahme, daß er beim Anblicke Unglücklicher ihnen nur dieses fruchtlose und grausame Mitleid schenken sollte, welches sich damit begnügt, die Leiden zu bedauern, obgleich es ihnen abhelfen kann. Die werkthätige Hilfe, die er spendet, verschafft ihm Einsichten, die er sich bei einem härteren Herzen gar nicht oder wenigstens erst viel später erworben hätte. Sieht er Unfrieden zwischen seinen Kameraden herrschen, so sucht er sie zu versöhnen; erblickt er Betrübte, so erkundigt er sich nach der Ursache ihres Grames; bemerkt er, wie sich zwei Menschen gegenseitig mit Haß verfolgen, so will er den Grund ihrer Feindschaft kennen lernen; sieht er einen Unterdrückten unter den kleinlichen Verfolgungen eines Mächtigen und Reichen seufzen, so sucht er die Kunstgriffe zu entdecken, unter welchen sich jene Verfolgungen verstecken; und bei dem Interesse, welches er für alle Unglückliche empfindet, sind ihm die Mittel zur Abhilfe ihrer Leiden niemals gleichgiltig. Was haben wir nun zu thun, um aus diesem Triebe auf eine mit seinem Alter in Einklang stehende Weise Nutzen zu ziehen? Nichts als seine Bestrebungen und Kenntnisse zu regeln und seinen Eifer zur Vermehrung Beider anzuwenden. Ich werde nicht müde, es beständig zu wiederholen: Gebet den jungen Leuten alle Belehrungen nicht sowol inWorten, als vielmehr in Handlungen. Was sie aus der Erfahrung lernen können, dürfen sie nicht aus Büchern lernen. Was für ein ungereimtes Unternehmen, sie im Reden zu üben, so lange ihnen ein Gegenstand fehlt, über den sie etwas zu sagen wissen, zu glauben, man könne sie, so lange sie noch auf der Schulbank sitzen, dahin bringen, die Kraft der Sprache der Leidenschaften und die ganze Gewalt der Überredungskunst zu empfinden, ohne daß sie ein wirkliches Interesse haben, Jemanden zu überreden! Alle Regeln

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