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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Berechtigung, in diese düstren Geheimnisse eingeweiht zu werden? Nur Lustbarkeiten nehmen das Interesse seines Alters in Anspruch; bis jetzt steht ihm nur die Verfügung über sich selbst zu, und das ist so gut, als ob er über nichts zu verfügen hätte. Der Mensch ist die wertloseste von allen Waaren, und unter unseren wichtigen Eigenthumsrechten ist das der Person beständig das geringste von allen. Wenn ich wahrnehme, wie man die jungen Leute gerade in dem Alter des größten Thätigkeitstriebes auf rein speculative Studien beschränkt, und wie sie darauf, ohne die geringste Erfahrung zu besitzen, urplötzlich in die Welt und in die Geschäfte hinausgestoßen werden, so finde ich, daß dies nicht minder der Vernunft als der Natur zuwiderläuft, und es überrascht mich nicht mehr, daß sich so wenige Leute zu benehmen wissen. Welche seltsame Geistesrichtung trägt die Schuld, daß man uns so viele unnütze Dinge lernen läßt, während die Kunst zu handeln für nichts geachtet wird? Man gibt vor, uns für die Gesellschaft zu bilden, und man unterrichtet uns in einer Weise, als ob Jeder von uns sein Leben als einsamer Denker in seiner Zelle zubringen oder mit Gleichgiltigen gelehrte Unterhaltungen über ganz nichtige Dinge führen sollte. Ihr glaubt euren Kindern die richtige Lebensart beizubringen, wenn ihr sie in gewissen Körperverdrehungen und gewissen hohlen Redensarten ohne Sinn und Verstand unterrichtet. Auch ich habe meinen Emil in der Kunst zu leben unterwiesen, denn ich habe ihn gelehrt, im Umgange mit sich selbst zu leben, ja noch mehr, ich habe ihm zu der Geschicklichkeit verholfen, sich selbst sein Brod verdienen zu können. Das genügt indeß noch nicht. Um in der Welt zu leben, muß man die Menschen zu behandeln wissen, muß man mit den Mitteln vertraut sein, durch welche man die Blößen, die sie sich geben, zu seinem Vortheile benutzenkann; man muß die Wirkung und Gegenwirkung der besonderen Interessen in der bürgerlichen Gesellschaft berechnen und das Ergebniß so richtig voraussehen, daß man sich in seinen Unternehmungen selten täuschen läßt oder sich wenigstens stets der besten Mittel zur Erreichung seines Zieles bedient. Die Gesetze gestatten es Jünglingen nicht, ihre Geschäfte selbst zu betreiben und selbstständig ihr Vermögen zu verwalten; allein welchen Vortheil würden denselben diese Vorsichtsmaßregeln bringen, wenn sie sich bis zu dem festgesetzten Alter keine Erfahrung zu erwerben vermöchten? Das Warten würde ihnen zu keinem Gewinne gereicht haben, und sie würden im fünfundzwanzigsten Jahre noch eben so unerfahren sein wie im fünfzehnten. Ohne Zweifel ist es die Pflicht, zu verhüten, daß sich ein junger Mensch, der entweder durch seine Unwissenheit verblendet oder durch, seine Leidenschaften getäuscht ist, selbst Schaden zufügt; aber in jedem Alter darf man wohlthätig sein, in jedem Alter kann man sich, unter Leitung eines verständigen Mannes, der Unglücklichen annehmen, die des Beistandes bedürfen.
    Die Ammen und Mütter gewinnen in Folge der Pflege, die sie ihren Kindern widmen, eine herzliche Zuneigung zu denselben; die Ausübung der sozialen Tugenden läßt auf dem Grunde des Herzens die Liebe zur Menschheit emporkeimen. Dadurch, daß man das Gute thut, wird man gut; mir ist keine sichrere Methode bekannt. Beschäftigt euren Zögling mit allen guten Handlungen, die für ihn ausführbar sind; laßt stets das Interesse der Dürftigen sein eigenes sein; er leiste ihnen nicht nur mit seiner Börse Beistand, sondern komme ihnen auch freundlich und hilfsbereit entgegen; er diene ihnen; er gewähre ihnen Schutz; er opfere ihnen seine Person und seine Zeit, er trete überall für sie ein; gewiß wird er in seinem ganzen Leben keine ehrenvollere Beschäftigung finden. Wie viele Unterdrückte, denen man sonst nie Gehör geschenkt hätte, werden Gerechtigkeit erlangen, wenn er dieselbe für sie mit jener unerschrockenen Festigkeit, welche man der Ausübung der Tugend verdankt, fordert, wenn sich ihm die Thüren der Großen und Reichen öffnen müssen, wenn er sichnötigenfalls bis zu den Stufen des Thrones Bahn brechen wird, um vor ihm den Unglücklichen Gehör zu verschaffen, welchen in Folge ihres Elends alle Zugänge verschlossen bleiben, und welche sich durch die Furcht, für das Böse, welches man ihnen zufügt, noch obendrein bestraft zu werden, abhalten lassen, sich darüber zu beschweren.
    Sollen wir denn aber aus Emil einen fahrenden Ritter, einen Rächer der

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