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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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reden, schlagen und Lärm machen? Nun wird man mir aber zugestehen müssen, daß Geister, welche Arme und Sprache haben, den Körpern täuschend ähnlich sind. Dies ist die Ursache, weshalb sich sämmtliche Völker, die Juden nicht ausgenommen, körperliche Götter gebildet haben. Mit unseren Ausdrücken Geist, Dreieinigkeit, Personen Gottes sind wir selbst zum größten Theile Anthropomorphisten. Ich gebe zu, daß man uns nachsagen lehrt, Gott sei überall; allein wir glauben eben so gut, daß die Luft überall sei, wenigstens innerhalb unserer Atmosphäre, und das Wort Geist bedeutet ja selbst eigentlich nichts anders als Hauch, Odem und Wind. Gewöhnt man die Leute einmal daran, Worte nachzusprechen, ohne sie zu verstehen, dann kann man sie auch mit Leichtigkeit dazu bringen, Alles zu sagen, was man will.
    Das Gefühl unserer Einwirkung auf andere Körper hat uns zunächst in den Glauben versetzen müssen, daßdemzufolge auch jede Einwirkung Letzterer auf uns der von uns auf sie ausgeübten gleich sei. Auf diese Weise begann der Mensch sich alle Dinge, deren Einwirkung auf sich er empfand, belebt vorzustellen. Da er sich weniger stark fühlte als die meisten derselben, weil ihm die Kenntniß der Grenzen ihrer Macht fehlte, so kamen sie ihm unbegrenzt vor, und er machte von dem Augenblicke an, wo er sie sich als Körper dachte, Götter aus ihnen. Während der ersten Zeitalter haben die Menschen, die sich noch durch Alles in Schrecken setzen ließen, nichts Todtes in der Natur gesehen. Der Begriff Materie hat sich in ihnen nicht weniger langsam gebildet, als der Begriff Geist, da dieser erstere Begriff ja ebenfalls eine Abstraction ist. Auf diese Weise haben sie das Weltall mit sinnlich wahrnehmbaren Göttern erfüllt. Die Gestirne, die Winde, die Berge, die Flüsse, die Bäume, die Städte, sogar die Häuser, kurz Alles hatte seine Seele, seinen Gott, sein Leben. Die Bildnisse Labans, die Manitous der Rothhäute, die Fetische der Neger, alle Werke der Natur und des Menschen sind die ersten Gottheiten der Sterblichen gewesen; Polytheismus war ihre erste Religion und Götzendienst ihr erster Cultus. Zur Erkenntniß eines einzigen Gottes konnten sie sich erst erheben, als sie in Folge der allmählichen Verallgemeinerung ihrer Begriffe im Stande waren, auf die erste Ursache zurückzugehen, die ganze Kette der Wesen unter einen einzigen Begriff zusammenzufassen und mit dem Worte Substanz, das im Grunde genommen die größte aller Abstractionen ist, einen bestimmten Sinn zu verbinden. Jedes Kind, welches an Gott glaubt, ist folglich notwendigerweise ein Götzendiener oder doch wenigstens ein Anthropomorphist, und hat sich erst die Einbildungskraft einmal ein Bild Gottes ausgemalt, so kommt es sehr selten vor, daß ihn dann noch der Verstand begreift. Und das ist gerade der Fehler, in welchen wir bei Beobachtung des von Locke empfohlenen Ganges verfallen. Da ich einmal, ich weiß selbst nicht wie, auf den abstracten Begriff Substanz gekommen bin, so wird man, wenn wir einen Augenblick dabei stehen bleiben, einsehen, daß man bei Annahme einer einzigen Substanz derselbenEigenschaften zuschreiben müßte, die sich wegen ihrer völligen Unvereinbarkeit gegenseitig ausschließen, wie das Denken und der Umfang, von denen die eine ihrem Wesen nach theilbar ist, die andere dagegen jede Theilbarkeit ausschließt. Man begreift übrigens, daß das Denken, oder wenn man will, die Empfindung, eine ursprüngliche und von der Substanz, zu der sie gehört, untrennbare Eigenschaft ist, und daß das nämliche Verhältniß zwischen dem Umfange und seiner Substanz stattfindet. Daraus ist man zu dem Schlusse berechtigt, daß die Wesen, welche eine dieser Eigenschaften verlieren, gleichzeitig auch die Substanz, zu der sie gehört, verlieren, daß demnach der Tod lediglich eine Trennung der Substanzen ist, und daß die Wesen, in denen sich jene beiden Eigenschaften vereinigt vorfinden, aus zwei Substanzen zusammengesetzt sind, zu denen diese beiden Eigenschaften gehören.
    Jetzt überlege man aber, welch ein Unterschied noch bleibt zwischen dem Begriffe der beiden Substanzen und dem der göttlichen Natur, zwischen der unbegreiflichen Vorstellung der Einwirkung unserer Seele auf unseren Körper und der Vorstellung der Einwirkung Gottes auf alle Wesen! Wie sollen sich die Begriffe Schöpfung, Vernichtung, Allgegenwart, Ewigkeit, Allmacht, ferner die Begriffe der übrigen göttlichen Eigenschaften, alle diese Begriffe, deren Verworrenheit und

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