Emil oder Ueber die Erziehung
flüchtigen Laugensalzes zu liefern, wie es bei allen animalischen Substanzen der Fall ist, gibt sie vielmehr ein in hohem Grade neutrales Salz.
Die Milch der Grasfresser ist lieblicher und gesünder als die der Fleischfresser. Aus einer der ihrigen gleichartigen Substanz gewonnen, bewahrt sie ihre Natur besser und ist dem Verderben weniger ausgesetzt. Jedermann weiß, daß Mehlspeisen mehr Blut bilden als Fleischspeisen; also müssen sie auch mehr Milch geben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Kind, welches man nicht zu frühzeitig entwöhnte und dann nur bei einfacher Pflanzenkost aufzog und dessen Amme sich ebenfalls mit Pflanzenkost begnügte, je an Würmern leiden sollte.
Es ist möglich, daß Pflanzenkost eine Milch gibt, die eher in Säure übergeht; aber ich bin gar weit davon entfernt saure Milch für ein ungesundes Nahrungsmittel zu halten; ganze Völker, die nur darauf angewiesen sind, befinden sich sehr wohl dabei, und mir kommen alle diese Säure verzehrenden Mittel wie reine Charlatanerie vor. Es gibt Naturen, welchen die Milch nicht zuträglich ist, und dann wird kein absorbirendes Mittel sie in ein denselben dienliches Nahrungsmittel verwandeln; andere vertragen sie ohne dergleichen Mittel. Man befürchtet von der dickenoder geronnenen Milch üble Folgen. Das ist eine Thorheit, da es eine altbekannte Thatsache ist, daß die Milch immer im Magen gerinnt. Weil sie dabei ihren flüssigen Zustand verliert, wird sie grade zur Ernährung der Kinder und der Jungen der Thiere erst recht geeignet; wenn sie nicht gerönne, würde sie durch den Körper, ohne ihn zu ernähren, hindurchgehen. [23]
Umsonst verdünnt man die Milch auf tausenderlei Art, umsonst wendet man tausenderlei absorbirende Mittel an: wer Milch genießt, verdaut doch Käse; das ist eine Regel, von der es keine Ausnahme gibt. Der Magen besitzt die Fähigkeit, die Milch gerinnen zu lassen, in so hohem Grade, daß man sich des Kälbermagens als Käselab bedient.
Ich halte deshalb dafür, daß man den Ammen keine andere Kost als ihre gewöhnliche zu geben braucht, und daß es vollkommen genügt, ihnen dieselbe reichlicher und schmackhafter zu bereiten. Es liegt nicht in der Natur der ohne Fleisch gekochten Speisen, daß sie erhitzen; lediglich ihre Zubereitung macht sie ungesund. Reformirt eure Küchenrecepte, verlangt nicht viel Gebackenes und Gebratenes; laßt weder Butter, noch Salz, noch Milch ans Feuer kommen; würzt die in Wasser gekochten Gemüse nicht eher, als bis sie heiß auf den Tisch kommen. Ohne Fleisch zubereitete Speisen werden die Amme nicht erhitzen, sondern ihr im Gegentheile reichliche und vortreffliche Milch geben. [24]
Hat man die vegetabilische Kost einmal als die dem Kinde zuträglichste anerkannt, wie wäre es dann möglich, die Fleischkost für die der Amme angemessenste zu halten. Es läge ein schreiender Widerspruch darin.
In den ersten Lebensjahren übt vorzüglich die Lufteinen entscheidenden Einfluß auf die Körperconstitution des Kindes aus. So lange die Haut noch zart und weich ist, dringt dieselbe durch alle Poren und ist bei der Entwickelung der jungen im Wachsthum begriffenen Körper von größter Wichtigkeit; sie hinterläßt an denselben Eindrücke, die sich nicht verwischen. Ich würde mich deshalb nicht dafür entscheiden, daß man eine Bäuerin ihrem Dorfe entzöge, um sie in der Stadt in ein Zimmer zu sperren und das Kind im elterlichen Hause zu nähren; ich würde es für besser halten, das Kind die reine Landluft statt der verdorbenen Stadtluft einathmen zu lassen. Es muß den Stand seiner Pflegemutter annehmen, ihr ländliches Haus bewohnen, und sein Erzieher muß ihm dahin folgen. Der Leser wird sich dessen wol noch erinnern, daß dieser Erzieher sein Amt nicht um des Lohnes willen verrichtet; er ist der Freund des Vaters. Wenn sich nun aber ein solcher Freund nicht findet, wenn sich der Aufenthalt auf dem Lande nicht so leicht bewerkstelligen läßt, wenn alle diese Rathschläge sich als unausführbar erweisen, was in aller Welt, wird man mir entgegnen, ist dann zu thun? Ich habe es euch schon gesagt: thut was ihr wollt; da hat mein Rath ein Ende.
Die Menschen sind nicht dazu geschaffen, um wie in einem Ameisenhaufen zusammengepfercht zu leben, sondern sollen die Erde füllen und bebauen. Je enger sie zusammenwohnen, desto mehr verderben sie sich. Körperliche Gebrechen so wie geistige Mängel sind die unfehlbare Folge jedes zu zahlreichen Zusammenlebens. Der Mensch ist unter allen
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