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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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müßte demnach auch eine erst vor Kurzem entbundene Amme haben. Ich weiß nur zu wohl, welche Hindernisse dem entgegentreten; weicht man aber einmal von der Ordnung der Natur ab, so stößt man überall auf Hindernisse, wenn man seine Sache gut machen will; der bequemste Ausweg bleibt immer seine Sache schlecht zu machen und den ergreift man auch gewöhnlich.
    Eine Amme sollte an Geist und Körper gleich gesund sein; zügellose Leidenschaften können ihre Milch eben so wie schlechte Säfte verderben. Uebrigens faßt man, wenn man hierbei ausschließlich das Physische in Betracht zieht, den Gegenstand nur zur Hälfte ins Auge. Die Milch kann gut und die Amme gleichwol schlecht sein; ein guter Charakter ist nicht weniger nothwendig als eine gute Körperbeschaffenheit. Ich will zwar nicht behaupten, daß, wenn die Wahl auf eine lasterhafte Frau fällt, ihr Säugling ihre Laster annehmen werde, aber so viel behaupte ich wenigstens, daß er darunter leiden werde. Soll sie ihm nicht außer der Milch, die sie ihm reicht, auch Pflege erweisen, welche Eifer, Geduld, Sanftmuth und Reinlichkeit erfordert? Ist sie naschhaft, ist sie unmäßig, so wird sie binnen Kurzem ihre Milch verdorben haben; ist sie nachlässig oder aufbrausend, wie wird es dann einem armen unglücklichen Wesen ergehen, daß ihrer Willkür völlig Preis gegeben ist und sich weder vertheidigen noch beschweren kann? Niemals werden die Schlechten etwas Gutes auszurichten im Stande sein, was es auch immer sein möge.
    Die Wahl der Amme ist um so wichtiger, als ihr Säugling keine andere Wärterin als sie haben soll, wie er auch keinen anderen Lehrer als seinen Erzieher haben soll. So erheischte es die Sitte bei den Alten, die weniger Worte machten und doch verständiger waren als wir.Nachdem die Ammen die Kinder ihres Geschlechts gesäugt hatten, verließen sie dieselben nie mehr. Das ist auch die Ursache, weshalb in ihren Theaterstücken die meisten Vertrauten Ammen sind. Es ist ja auch unmöglich, daß ein Kind, welches nach und nach durch so viele verschiedene Hände geht, gut erzogen werden kann. Bei jedem Wechsel stellt es im Geheimen Vergleichungen an, die stets darauf hinauslaufen, seine Achtung von seinen Erziehern und folglich auch ihre Autorität über dasselbe zu schwächen. Wenn sich erst einmal der Gedanke in ihm bildet, daß es Erwachsene gibt, die nicht mehr Vernunft haben als Kinder, so ist alles Ansehen des Alters sofort verloren und die Erziehung gescheitert. Ein Kind darf keine anderen Vorgesetzten als seinen Vater und seine Mutter kennen oder, in deren Stellvertretung, seine Amme und seinen Erzieher, ja sogar diese zwei sind schon um eins zu viel. Leider ist aber diese Theilung unvermeidlich, und nur dadurch läßt sich diesem Uebelstande einigermaßen abhelfen, daß die Personen beiderlei Geschlechts, welche das Kind erziehen, in Bezug auf ihre verantwortliche Aufgabe so vollkommen übereinstimmen, daß sie in den Augen desselben gleichsam nur ein einziges Ganze bilden.
    Die Amme muß etwas bequemer leben, bedarf einer kräftigeren Kost, aber sie darf ihre Lebensweise nicht vollständig ändern, denn eine plötzliche und gänzliche Aenderung ist stets, sogar dann, wenn sie etwas Besseres an die Stelle des Schlechteren setzen sollte, der Gesundheit nachtheilig; und da ihre bisherige Lebensweise ihr die Gesundheit erhalten oder gegeben und sie derselben ihre kräftige Constitution zu verdanken hat, welchen Nutzen würde sie durch eine Aenderung gewinnen?
    Die Bäuerinnen essen weniger Fleisch und mehr Gemüse als die Städterinnen, und diese vegetabilische Kost scheint ihnen und ihren Kindern eher zuträglich als schädlich zu sein. Erhalten sie nun aber städtische Säuglinge, so setzt man ihnen fortwährend Suppen vor, fest überzeugt, daß kräftige Fleischbrühen sie zu dem Ernährungsgeschäft geeigneter machen, und ihnen mehr Milch geben. Ich bin durchaus nicht dieser Meinung, und auf meinerSeite habe ich die Erfahrung, welche uns lehrt, daß die auf diese Weise ernährten Kinder weit mehr als andere von Leibschmerzen und Würmern zu leiden haben.
    Das ist auch gar nicht zu verwundern, da die animalische Substanz bei eintretender Fäulniß von Würmern wimmelt, was bei der vegetabilischen nicht in gleicher Weise stattfindet. Obgleich sich die Milch im thierischen Körper erzeugt, ist sie doch eine vegetabilische Substanz. [22] Ihre Analyse weist dies nach; sie geht leicht in Säure über, und anstatt auch nur irgend eine Spur

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