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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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lebenden Wesen dasjenige, welches am wenigsten heerdenweise zu leben vermag. Menschen, die wie Schafe zusammengepfercht wären, würden in kürzester Zeit zu Grunde gehen. Der Odem des Menschen wirkt tödtlich auf seines Gleichen; das ist im eigentlichen Sinne durchaus eben so wahr wie im bildlichen.
    Die Städte sind der Abgrund des menschlichen Geschlechts. Nach Verlauf weniger Menschenalter gehen die Stämme unter oder entarten; man muß sie wieder verjüngen, und stets ist es das Land, von dem diese Verjüngung ausgeht. Schicket deshalb eure Kinder ins Freie,damit sie sich, so zu sagen, selbst verjüngen und inmitten der Fluren die Vollkraft wiedergewinnen, welche man in der ungesunden Luft übervölkerter Orte verliert. Schwangere Frauen, die sich auf dem Lande aushalten, kehren zeitig in die Stadt zurück, um daselbst niederzukommen; sie sollten grade das Gegentheil thun, die vor allen Dingen, welche ihre Kinder selbst zu stillen beabsichtigen. Sie würden es weniger bedauern, als sie vielleicht denken, und die Freuden, welche uns die treue Erfüllung der natürlichen Pflichten gewährt, würden ihnen während eines Aufenthalts, der unserem Geschlechte weit natürlicher ist, bald den Geschmack an leeren Vergnügungen benehmen, die diesen Pflichten zuwiderlaufen.
    Unmittelbar nach erfolgter Geburt wäscht man das Kind mit lauem Wasser, dem man Wein beizumischen pflegt. Diese Beimischung von Wein erscheint mir gerade nicht nöthig. Da die Natur selbst nichts Gegohrenes hervorbringt, so läßt sich nicht gut annehmen, daß die Anwendung einer künstlichen Flüssigkeit für das Leben ihrer Geschöpfe von Wichtigkeit sei.
    Aus demselben Grunde ist die Vorsicht, lauwarmes Wasser anzuwenden, nicht unbedingt nothwendig; und in der That baden nicht wenige Völker ihre neugeborenen Kinder ohne Weiteres in den Flüssen oder im Meere; allein unsere, welche durch die Verweichlichung der Väter und Mütter schon vor ihrer Geburt ebenfalls verweichlicht sind, bringen, wenn sie auf die Welt kommen, schon eine verderbte Körperconstitution mit, so daß man sie nicht gleich all’ den Versuchen und Experimenten, welche ihre Wiederherstellung bezwecken, aussetzen darf. Nur stufenweise kann man sie zu ihrer ursprünglichen Lebenskraft zurückführen. Für den Anfang empfiehlt es sich deshalb die bestehende Sitte beizubehalten und nur allmälich dieselbe aufzugeben. Häufiges Baden ist nothwendig, ihre Unreinlichkeit liefert den Beweis. Durch bloßes Abwaschen und Abtrocknen kann man sie leicht verletzen; aber mit der zunehmenden Erstarkung derselben muß man nach und nach die Wärme des Wassers vermindern, bis man sie zuletzt Sommer und Winter mit kaltem, ja sogar mit eiskaltem Wasser badendarf. Da es, um ihre Gesundheit keiner Gefahr auszusetzen, von Wichtigkeit ist, daß diese Verminderung langsam, allmählich und unmerklich vor sich gehe, so kann man sich zur genaueren Messung derselben eines Thermometers bedienen.
    Diese Sitte des Badens darf nun, wenn sie einmal eingeführt ist, nie wieder unterbrochen werden, und es ist von äußerster Wichtigkeit, sie lebenslänglich beizubehalten. Ich schätze sie nicht allein vom Gesichtspunkte der Reinlichkeit und dem augenblicklichen Gesundheitszustande aus, sondern erblicke darin auch eine heilsame Vorsichtsmaßregel, um das Zellengewebe und das Muskelsystem geschmeidiger zu machen und sie dahin zu bringen, ohne Anstrengung und Gefahr jeden Temperaturwechsel zu ertragen. Zu gleichem Zwecke wünschte ich auch, daß man sich mit zunehmendem Alter nach und nach daran gewöhnte, sich abwechselnd bald in warmem Wasser von allen nur erträglichen Hitzegraden, bald in kaltem Wasser jeglicher Temperatur zu baden. Auf diese Weise würde man, wenn man sich erst daran gewöhnt hätte, jeglichen Temperaturwechsel des Wassers zu ertragen, gegen den der Luft fast unempfindlich sein, da das Wasser, welches eine dichtere Flüssigkeit als letztere ist, uns an viel mehr Punkten berührt und deshalb eine größere Wirkung auf uns ausübt.
    Man dulde nicht, daß man dem Kinde in dem Augenblicke, wo es von seiner natürlichen Hülle befreit wird und zu athmen beginnt, andere gebe, die es noch mehr beengen. Keine Kinderhäubchen, keine Wickelbänder, keine Steckkissen! Gebrauchet nichts weiter als lockere und breite Windeln, die dem Kinde den freien Gebrauch seiner Glieder gestatten und weder so schwer sind, dasselbe in seinen Bewegungen zu behindern, noch so warm, um die Einwirkungen der Luft von ihm

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