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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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alle Dinge ordnet, nenne ich Gott. Ich verbinde mit diesem Namen die Ideen von Intelligenz, Macht und Willen, die ich mir, in Folge meiner Beobachtungen, von demselben gebildet habe, so wie die Idee der Güte, welche eine nothwendige Folge ersterer ist. Trotzdem ist mir das Wesen, welchem ich diesen Namenbeigelegt habe, noch eben so unbegreiflich wie vorher. Es entzieht sich meinem Verstande nicht weniger als meinen Sinnen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gerathe ich in Verwirrung. Ich weiß mit völliger Gewißheit, daß dieses Wesen existirt und zwar durch sich selbst existirt, weiß auch, daß meine Existenz der seinigen untergeordnet ist und daß sich alle mir bekannten Dinge ihm gegenüber durchaus in derselben Lage befinden. Ich erkenne Gott überall in seinen Werken, ich fühle ihn in mir, erblicke ihn um mich. Sobald ich ihn jedoch seinem inneren Wesen nach schauen will, sobald ich untersuchen will, wo und was er ist, was sein eigentliches Wesen ausmacht, dann entschlüpft er mir, und mein in Verwirrung gerathender Geist vermag nichts mehr zu erkennen.
    Durchdrungen von dem Gefühle meiner Unzulänglichkeit, werde ich über die Natur Gottes niemals Untersuchungen anstellen, wenn ich mich nicht durch das Gefühl seiner Beziehungen zu mir dazu genöthigt sehe. Solche Untersuchungen sind stets vermessen. Nur mit Zittern und Zagen und in der festen Ueberzeugung, daß wir nicht geschaffen sind, das Wesen Gottes zu ergründen, sollte ein weiser Mensch dieselben vornehmen. Denn jedenfalls liegt für die Gottheit eine größere Beleidigung darin, daß man sich eine unrichtige Vorstellung von ihr macht, als daß man gar nicht an sie denkt.
    Nachdem ich diejenigen Eigenschaften der Gottheit aufgefunden habe, aus denen ich ihr Dasein zu begreifen vermag, kehre ich zu mir selbst zurück und untersuche, welchen Rang ich in der Ordnung der Dinge, die sie regiert und die ich einer Prüfung zu unterziehen im Stande bin, einnehme. Meiner Gattung nach gebührt mir unstreitig die oberste Stelle. Denn durch meinen Willen und durch die Werkzeuge, über welche ich zur Ausführung desselben verfügen kann, besitze ich eine größere Fähigkeit, auf alle Körper meiner Umgebung einzuwirken, oder mich umgekehrt ihrer Einwirkung beliebig darzubieten oder zu entziehen, als irgend einem von ihnen innewohnt, wider meinen Willen durch einen blos physischen Impuls auf mich einzuwirken, und ich bin das einzige Wesen, dem seinVerstand eine Uebersicht über das Ganze gestattet. Welches Wesen hienieden außer dem Menschen hat die Gabe alle übrigen zu beobachten, ihre Bewegungen und Wirkungen zu messen, zu berechnen und vorherzusehen und das Gefühl des gemeinsamen Daseins gleichsam mit dem seines individuellen Daseins zu verbinden? Was kann man also wol an dem Gedanken, daß Alles für mich geschaffen ist, lächerlich finden, wenn ich nun doch einmal das einzige Wesen bin, das Alles auf sich zu beziehen vermag?
    Es ist folglich wahr, daß der Mensch der König der Erde ist, welche er bewohnt; [27] nicht nur bändigt er alle Thiere, nicht nur hat er sich durch seine Geschicklichkeit zum Herrn der Elemente gemacht, sondern ihm steht auch allein auf Erden diese Macht zu Gebote; ja selbst die Gestirne, denen er sich nicht zu nähern vermag, können sich in Folge seiner unausgesetzten Beobachtungen seiner Machtsphäre nicht entziehen. Man zeige mir auf Erden ein anderes Geschöpf, welches das Feuer zu benutzen und die Sonne zu bewundern versteht! Wie? Ich vermag die Wesen und ihre gegenseitigen Beziehungen zu beobachten und zu erkennen, ich vermag zu empfinden, was Ordnung, Schönheit und Tugend ist; ich vermag das Weltall zu betrachten und mich bis zu der Hand zu erheben, die es lenkt, ich vermag das Gute zu lieben und zu üben, und sollte mich mit den Thieren auf eine Stufe stellen? Niedrige Seele, deine traurige Philosophie macht dich ihnen ähnlich, oder du gibst dir vielmehr vergeblich Mühe, dich zu erniedrigen; deine natürliche Befähigung legt Zeugniß wider deine Grundsätze ab, dein wohlwollendes Herz straft deine Lehre Lügen, und selbst der Mißbrauch deiner Fähigkeiten bestätigt dir zum Trotz ihre Vortrefflichkeit.
    Ich meinestheils, der ich für kein System eine Lanze zu brechen brauche, ich, ein einfacher und wahrer Mann, welcher sich von keiner Parteileidenschaft fortreißen läßt und nicht nach der Ehre trachtet, das Haupt einer Secte zu sein, ich, der ich mit dem Platze, an den mich Gott gestellt hat, zufrieden

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