Emil oder Ueber die Erziehung
dadurch gebessert werden.« [58]
Es scheint mir, daß, wenn irgend eine Erziehung die Art von Höflichkeit hervorrufen muß, welche Herr Duclos hier verlangt, es diejenige ist, welche ich bisher in ihren Grundzügen entworfen habe.
Ich räume indeß ein, daß Emil bei so abweichenden Grundsätzen nicht aller Welt gleichen wird, und Gott behüte ihn davor, daß er ihr je ähnlich werde! Gleichwol wird in dem, worin er sich von allen Uebrigen unterscheidet, nichts Anstößiges oder Lächerliches liegen. Die Verschiedenheit wird sich bemerkbar machen, ohne Mißfallen zu erregen. Emil wird, wenn man will, wie ein liebenswürdiger Fremdling erscheinen. Zuerst wird man ihm seine Sonderbarkeiten verzeihen und sagen: »Er wird sich schon noch bilden.« In der Folge wird man sich an seine Manieren gewöhnen, und wenn man sich überzeugt, daß er sie doch nicht ändert, wird man ihm schließlich auch vergeben und sagen: »Er ist nun einmal so.«
Er wird nicht als ein liebenswürdiger Mensch gefeiert werden, aber gleichwol wird man ihn lieben, ohne eigentlich zu wissen, weshalb. Niemand wird seinen Geist rühmen, aber man wird ihn mit Vorliebe zum Schiedsrichter unter Männern von Geist wählen. Sein Geist wird klar sein und sich in festen Grenzen halten; er wird einen geraden Sinn und ein gesundes Urtheil haben. Da er nie nach neuen Ideen hascht, so wird er auch nie darauf ausgehen, mit seinem Witze zu glänzen. Ich habe ihmden Nachweis geführt, daß alle heilsamen und den Menschen wahrhaft nützlichen Ideen am frühesten bekannt gewesen sind, daß sie zu jeder Zeit einzig und allein die wahren Bande der Gesellschaft ausmachen, und daß Männern von hoher Begabung, die sich auszuzeichnen wünschen, nichts übrig bleibt, als durch verderbliche und dem Menschengeschlechte unheilvolle Ideen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Diese Art, Bewunderung zu erregen, hat für ihn nichts Verlockendes. Er weiß, wo sein Lebensglück zu finden ist, und wodurch er zum Glücke Anderer beizutragen vermag. Der Bereich seiner Kenntnisse dehnt sich nicht weiter als auf das aus, was nützlich ist. Sein Weg ist schmal und genau abgesteckt. Nie in der Versuchung, von ihm abzuweichen, verliert er sich unter denen, die mit ihm die nämliche Straße ziehen; er will sich weder verirren, noch hervorragen. Emil ist ein Mensch von gesundem Verstande und will nichts Anderes sein. Vergeblich wird man ihn mit diesem Titel zu beleidigen suchen, da er sich durch denselben stets geehrt fühlen wird.
Obgleich ihn der Wunsch zu gefallen nicht mehr völlig gleichgültig gegen fremdes Urtheil sein läßt, so wird er von diesem Urtheile doch nur das annehmen, was sich unmittelbar auf seine Person bezieht, ohne sich um die willkürlichen Werthbestimmungen zu kümmern, bei deren Festsetzung nur die Mode oder die Vorurtheile als Gesetz gelten. Er wird seinen Stolz darein setzen, Alles, was er thut, gut, ja sogar noch besser machen zu wollen, als ein Anderer. Beim Laufen wird er sich durch Schnelligkeit, im Ringkampfe durch Stärke, bei der Arbeit durch Geschicklichkeit, beim Spiel durch Gewandtheit auszeichnen; dagegen wird er sich wenig angelegen sein lassen, sich eine Ueberlegenheit in solchen Dingen zu erwerben, bei denen sich nicht ein klar erkennbarer Vortheil erzielen läßt, sondern wo derselbe von fremdem Urtheile abhängt, z.B. einen schärferen Witz, eine größere Rednergabe, eine umfassendere Gelehrsamkeit als ein Anderer zu haben, u.s.w. Noch weniger Werth wird er auf solche Vortheile legen, die in keiner Weise etwas mit der Person zu schaffen haben, wie z.B. aus einer vornehmeren Familie abzustammen,für reicher gehalten zu werden, angesehener zu sein, durch größeren Aufwand zu blenden.
Obgleich er die Menschen im Allgemeinen liebt, weil sie seines Gleichen sind, so wird er doch vorzüglich denen seine Liebe schenken, die ihm an Herzensgüte am ähnlichsten sind; und da er diese Ähnlichkeit nach der Uebereinstimmung, des Geschmacks in moralischen Dingen beurtheilt, so wird es ihm Freude bereiten, wenn er bei Allem, was in einem guten Charakter seine Quelle hat, Anerkennung findet. Er wird sich zwar nicht geradezu sagen: »Ich freue mich, daß mir die Welt ihre Anerkennung nicht versagt,« aber wohl: »Ich freue mich, daß man das, was ich Gutes gethan habe, billigt; ich freue mich, weil die Leute, welche mir Ehre erweisen, sich damit nur selbst ehren. So lange sie ein so gesundes Urtheil fällen; wird es schön sein, ihre Achtung zu
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