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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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läßt sich von dem Urtheile derjenigen bestimmen, die sie für erleuchteter hält als sich selbst; sie zollt nicht dem Anerkennung, was gut ist, sondern dem, was Andere als gut anerkannt haben. Traget deshalb allezeit dafür Sorge, daß sich ein jeder Mensch sein eigenes Urtheil bildet, dann wird auch sicherlich das, was das Angenehmste an sich ist, stets die meisten Stimmen für sich haben.
    Nur durch Nachahmung vermögen die Menschen in ihren Werken Schönes hervorzubringen. Alle wahren Vorbilder des Geschmacks werden der Natur entnommen. Je mehr wir uns von dieser Meisterin entfernen, desto entstellterwerden unsere Nachbildungen. Dann müssen uns die Gegenstände, die wir lieb haben, als Muster dienen; aber das Schöne aus dem Reiche der Phantasie ist, weil es sich der Laune und der Autorität unterworfen sieht, nichts weiter als das, was denen gefällt, unter deren Leitung wir stehen.
    Diejenigen nun, deren Leitung wir folgen, sind Künstler, Große und Reiche, welche sich wieder ihrerseits durch ihr Interesse oder ihre Eitelkeit leiten lassen. Eifrig sieht man sie neue Mittel des Aufwands aufsuchen, die Einen, um mit ihrem Reichthume zu prunken, die Andern, um daraus Vortheil zu ziehen. Dadurch legt der große Luxus den Grund zu seiner Herrschaft und flößt uns Liebe für das ein, was schwer zu erlangen und kostbar ist. Alsdann ist das, was für schön ausgegeben wird, weit von der Nachahmung der Natur entfernt, und wird nur deshalb so genannt, weil es mit der Natur nicht in Übereinstimmung steht. Das ist die Ursache, weshalb Luxus und schlechter Geschmack Hand in Hand gehen. Ueberall, wo die Befriedigung des Geschmacks mit großen Kosten verbunden ist, ist er falsch.
    Besonders im Umgange beider Geschlechter gewinnt der Geschmack, sei er gut oder schlecht, eine bestimmte Form; seine Ausbildung ist eine notwendige Folge dieses geselligen Verkehrs. Läßt jedoch die Leichtigkeit, mit welcher man sich den Genuß verschaffen kann, das Verlangen zu gefallen erkalten, so muß der Geschmack ausarten, und hierin liegt, wie mir scheint, einer der augenscheinlichsten Gründe, weshalb der gute Geschmack auf den guten Sitten beruht.
    In physischen wie in solchen Angelegenheiten, die ein Urtheil der Sinne zulassen, ziehet den Geschmack der Frauen zu Rathe, den der Männer jedoch in moralischen und allen übrigen Angelegenheiten, zu deren Beurtheilung ein größerer Verstand nöthig ist. Sind die Frauen, was sie sein sollen, so werden sie sich auf Dinge beschränken, für welche sie ein Verständniß haben, und werden stets richtig urtheilen. Seitdem sie sich jedoch auch über die Literatur die Herrschaft angemaßt, seitdem sie sich unterfangen haben,Bücher zu kritisiren und sogar mit aller Gewalt selbst zu schreiben, seitdem verstehen sie sich auf nichts mehr. Schriftsteller, welche sich über ihre Werke bei gelehrten Frauen Raths erholen, können stets versichert sein, schlechte Rathschläge zu erhalten. Stutzer, welche ihren Anzug nach dem Rathe der Frauen wählen, sind stets lächerlich gekleidet. Es wird sich mir bald Gelegenheit darbieten, von den wirklichen Talenten dieses Geschlechtes, von der Art und Weise ihrer Ausbildung, so wie von denjenigen Dingen zu sprechen, in welchen man auf die Entscheidungen desselben hören muß.
    Das sind die einfachen Betrachtungen, die ich als Grundsätze ausstellen werde, wenn ich mit meinem Emil einen Stoff bespreche, der ihm in der Lage, in welcher er sich befindet, und bei den Nachforschungen, mit welchen er beschäftigt ist, nichts weniger als gleichgiltig sein kann. Und wem könnte er auch wol gleichgiltig sein? Die Kenntniß dessen, was den Menschen angenehm oder unangenehm sein kann, ist nicht allein für denjenigen nothwendig, welcher ihrer bedarf, sondern auch für den, welcher ihnen nützen will. Selbst wenn man ihnen dienen will, kommt viel darauf an, daß man ihnen gefalle, und die Kunst zu schildern ist nichts weniger als ein müßiges Studium, wenn man sich ihrer dazu bedient, der Wahrheit Gehör zu verschaffen.
    Wenn mir zur Ausbildung des Geschmacks meines Zöglings die Wahl zwischen solchen Ländern, in denen die Geschmacksbildung erst im Entstehen begriffen ist, und anderen, in welchen sich bereits eine Entartung derselben bemerkbar machte, frei stünde, so würde ich die umgekehrte Reihenfolge inne halten; ich würde ihn zunächst die letzteren und zuletzt die ersteren besuchen lassen. Der Grund, der mich bei dieser Wahl leitet, besteht darin, daß der

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