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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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und jeder ungetreue Mann, welcher seiner Gattin den einzigen Lohn für die schweren Pflichten ihres Geschlechtes entzieht, handelt ungerecht und grausam. Aber die ungetreue Frau begeht ein noch größeres Unrecht, sie löst geradezu die Familie auf und trennt alle süße Bande der Natur. Wenn sie dem Manne Kinder gibt, die nicht die seinigen sind, so betrügt sie Beide und fügt zur Untreue noch den Meineid. Man kann sich kaum denken, welche Unordnungen und Verbrechen sich hieraus entwickeln müssen. Gibt es wol einen unglückseligeren Menschen in der Welt als einen Vater, der, des Vertrauens zu seinemWeibe beraubt, nicht wagt, sich den süßesten Regungen seines Herzens hinzugeben? Wenn er sein Kind umarmt, muß er nicht fürchten, daß er das Kind eines Anderen umarmt, das Pfand seiner Entehrung, den Räuber des Guts seiner eigenen Kinder? Die Familie ist dann nur eine Vereinigung geheimer Feinde, welche die schuldbeladene Frau gegen einander aufreizt, indem sie dieselben zwingt, einander Liebe zu heucheln.
    Es kommt demnach viel darauf an, daß die Frau nicht nur wirklich treu sei, sondern daß sie auch von ihrem Gatten, von ihren Verwandten, von Jedermann dafür gehalten werde. Sie muß sittsam und zurückhaltend sein und eben so in den Augen der Anderen als in ihrem eigenen Gewissen das Zeugniß ihrer Tugend bestätigt finden. Wenn ein Vater seine Kinder lieben soll, so muß er vor allen Dingen Achtung vor ihrer Mutter hegen. Aus diesem Grunde muß man selbst den Schein der Tugend zu den Pflichten des Weibes rechnen, so daß ihr Ehre und guter Name eben so unverbrüchlich heilig sind, wie die Keuschheit selbst. So folgt also aus diesen Grundsätzen so wie aus dem moralischen Unterschiede der Geschlechter für die Frauen die besondere Pflicht, in Bezug auf ihre Führung, ihr Benehmen und ihre Haltung die peinlichste Aufmerksamkeit zu beobachten. Wollte man eben leichthin behaupten, daß beide Geschlechter gleich und ihre Verpflichtungen dieselben seien, so würde man sich nur in leeren Reden ergehen, man würde nichts sagen, so lange man auf das Obige nicht geantwortet hat.
    Es ist in der That eine leichte Art des Urtheils, wenn man auf so allgemeine und wohlbegründete Gesetze mit Ausnahmen antwortet. Die Frauen, wendet man ein, bekommen ja nicht immer Kinder. Nein, aber trotzdem ist es doch ihre eigentliche Bestimmung, Kinder zu gebären. Wie? Weil es auf dem ganzen weiten Erdenrunde vielleicht hundert große Städte gibt, in denen die Frauen in Folge ihres lockeren Lebenswandels nur wenig mit Kindern gesegnet sind, deshalb wollt ihr behaupten, daß dies die Bestimmung der Frauen sei? Was würde wol aus euren Städten werden, wenn nicht das flacheLand, wo die Frauen in größerer Einfachheit und Keuschheit leben, die Unfruchtbarkeit jener Damen ausgliche? In wie viel Provinzen sind doch die Frauen, welche sich nur von vier bis fünf Kindern umringt sehen, für wenig fruchtbar verschrieen! [3] Und was kann es endlich auf die allgemeine Sache für Einfluß haben, wenn diese oder jene Frau wenig Kinder hat? Es ist deshalb nicht weniger die Bestimmung der Frau, Mutter zu werden, und nicht nur die allgemeinen Naturgesetze, sondern auch die Sitten müßten dieser Anschauung günstig sein.
    Gesetzt, die Zwischenräume zwischen den Schwangerschaften wären wirklich immer so groß, als man anzunehmen pflegt, würde trotzdem eine Frau ohne alle Gefahr ihrer Lebensweise so schnell eine gerade ins Gegentheil umschlagende Aenderung geben können? Wird sie im Stande sein, heute als Amme und morgen als Kriegerin aufzutreten? Wird sie Temperament und Neigungen wie das Chamäleon die Farben wechseln können? Ist es ihr möglich, aus ihrer stillen Zurückgezogenheit und Häuslichkeit herauszutreten und sich dann sofort der rauhen Witterung, den Anstrengungen, Mühen und Gefahren des Krieges auszusetzen? Vermag sie bald furchtsam [4] und bald tapfer, bald zart und bald kräftig zu sein? Wenn es den in Paris aufgewachsenen jungen Männern Mühe macht, die Beschwerden des Kriegshandwerks auszuhalten, wie sollen es dann wol Frauen, die nie der Sonnenglut getrotzt und kaum marschiren gelernt haben, nach fünfzig Jahren eines bequemen Lebens zu ertragen im Stande sein? Sollen sie dieses rauhe Handwerk etwa in einem Alter zu betreiben beginnen, in dem die Männer es bereits aufgeben?
    Allerdings gibt es Länder, in denen die Frauen fast schmerzlos gebären und ihre Kinder beinahe ohne alle Mühe groß ziehen. Das räume ich gern ein.

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