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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Verwirrung nicht, und seine Blicke lassen sie errathen, daß sie die Ursache derselben ist. Sie bemerkt zwar, daß seine Unruhe noch nicht die Folge seiner erwachenden Liebe ist, allein was hat das zu sagen? Er beschäftigt sich doch schon mit ihr, und das ist ihr vor der Hand genügend. Sie würde sich sehr unglücklich fühlen, wenn er sich ungestraft mit ihr beschäftigen könnte.
    Die Mütter haben eben so scharfe Augen wie ihre Töchter, und außerdem steht ihnen die Erfahrung zur Seite. Sophiens Mutter lächelt über den Erfolg unserer Pläne. Sie liest in den Herzen der beiden jungen Leute, begreift, daß es jetzt an der Zeit ist, das des neuen Telemach für immer zu gewinnen, und veranlaßt ihre Tochter deshalb zum Reden. Dieselbe antwortet mit ihrer natürlichen Sanftmuth in schüchternem Tone, was den Eindruck, welchen sie auf Emil ausübt, nur noch zu erhöhen vermag. Beim ersten Tone dieser Stimme fühlt er sich für immer gefesselt. Ja, das ist seine Sophie, er kann nicht länger daran zweifeln. Wäre es nicht der Fall, so würde es nun zu spät sein, er könnte nicht mehr zurück.
    Unwiderstehlich umstricken jetzt die Reize des bezaubernden Mädchens sein Herz, und in langen Zügen beginnt er das Gift einzusaugen, mit dem sie ihn berauscht. Er redet nicht mehr, er antwortet nicht mehr. Er sieht nur Sophie, er hört nur Sophie. Spricht sie ein Wort, so öffnet er unwillkürlich den Mund; senkt sie die Augen, so senkt er sie ebenfalls. Hört er sie seufzen, so seufzet er mit. Es ist Sophiens Seele, die ihn zu beseelen scheint. Welche Aenderung ist in der seinigen in wenigen Augenblicken vor sich gegangen! Jetzt hat Sophie nicht mehr zu zittern nöthig, die Reihe ist nun an ihn gekommen. Lebe wohlFreiheit, Unbefangenheit, Offenheit! Verwirrt, verlegen, schüchtern, wagt er nicht mehr um sich zu schauen, weil er zu sehen fürchtet, daß er der Gegenstand der allgemeinen Beobachtung ist. Voller Scham, sein Geheimniß zu verrathen, wünscht er sich unsichtbar machen zu können, nur damit er im Stande wäre, sich unbemerkt an ihr satt zu sehen. Sophie dagegen kommt immer mehr von ihrer Furcht vor Emil zurück. Sie erkennt ihren Sieg und freut sich seiner.
    No ‘l mostra già, ben che in suo cor ne rida. [23]
    Ihre Haltung ist unverändert dieselbe geblieben, allein trotz ihrer sittsamen Miene und ihrer gesenkten Augen klopft ihr zärtliches Herz vor Freude und sagt ihr, daß Telemach gefunden ist.
    Wenn ich hier auf die vielleicht zu natürliche und zu einfache Geschichte ihrer unschuldigen Liebe eingehe, so wird man möglicherweise geneigt sein, solche Einzelheiten als ein nichtiges Spiel zu betrachten. Indeß hat man Unrecht. Man berücksichtigt den Einfluß nicht genug, welchen der Beginn einer Liebschaft zwischen einem Manne und einer Frau auf Beider ganzes Leben ausüben muß. Man übersieht, daß ein erster Eindruck, der so lebhaft wie der der Liebe oder der anfänglich noch ihre Stelle vertretenden Zuneigung ist, bleibende Folgen hat, deren Verkettung man im Verlaufe der Jahre allerdings nicht wahrnimmt, die aber trotzdem bis zum Tode in unaufhörlicher Wirksamkeit sind. Zu den Abhandlungen über Erziehung gibt man uns viel unnützen und pedantischen Wortkram über rein eingebildete Pflichten der Kinder, aber man übergeht stillschweigend den wichtigsten und schwierigsten Theil der ganzen Erziehung, die Krisis nämlich, welche bei dem Uebergange aus der Kindheit in das Mannesalter stattfindet. Wenn ich vorliegende Abhandlung durch irgend eine Stelle habe nützlich machen können, so wird der Grund dazu vor Allem darin liegen, daß ich mich über diesen wesentlichenTheil, der leider von allen Andern übergangen zu werden pflegt, ausführlich ausgesprochen habe, und daß ich mich von diesem Unternehmen durch kein falsches Zartgefühl habe abhalten, noch durch die Schwierigkeiten der Ausdrucksweise zurückschrecken lassen. Wenn ich gesagt habe, was man thun muß, so habe ich gesagt, was zu sagen meine Pflicht ist. Ich kümmere mich sehr wenig darum, ob ich deshalb einen Roman geschrieben habe. Ein Roman, der die menschliche Natur zu seinem Gegenstande hat, muß gewiß zu den guten gerechnet werden. Wenn man aus dieser Schrift nicht mehr herausfindet, liegt dann etwa die Schuld an mir? Sie sollte die Geschichte meines Geschlechts sein. Ihr, die ihr sie verderbt, macht freilich einen Roman aus meinem Buche.
    Eine andere Erwägung, welche die erste noch verstärkt, ist, daß es sich ja hier nicht um einen

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