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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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seinem Glücke wol fehlen! Beobachtet, überlegt, denket nach über das, was ihm noch nöthig ist, und was man ihm zu dem, was er schon besitzt, noch hinzufügen könnte. Alle Güter, die sich gleichzeitig erlangen lassen, sind sein eigen. Nur auf Kosten eines anderen könnte man sie um ein neues vermehren. Er ist so glücklich, wie ein Mensch es nur sein kann. Soll ich einem so süßen Glücke sofort wieder ein Ende machen? Soll ich ein so reizendes Vergnügen stören? Ach, der ganze Werth seines Lebens beruht auf dem Glücke, das er jetzt empfindet. Womit wäre ich im Stande ihm das zu ersetzen, was ich ihm raubte? Selbst wenn ich seinem Glücke die Krone aufsetzte, würde ich den größten Reiz desselben zerstören. Dieses höchste Glück ist in der Erwartung hundertmal süßer als im Genuß. O, lieber Emil, liebe und laß dich lieben! Gibdich einem langen Genusse hin, bevor du in den Besitz trittst! Erfreue dich zugleich der Liebe und der Unschuld! Schaffe dir auf Erden ein Paradies, so lange du noch auf das andere hoffst! Ich werde diese glückliche Zeit deines Lebens nicht verkürzen; ich werde im Gegentheil einen Zauberschleier über dieselbe decken und sie, so viel in meiner Macht steht, verlängern. Leider muß sie ein Ende haben und muß sogar in kurzer Zeit ein Ende nehmen. Allein ich werde wenigstens Alles aufbieten, daß sie dir nie aus dem Gedächtniß entschwindet, und du nie bereuest, ihr Glück genossen zu haben.
    Emil vergißt nicht, was wir zurückzubringen haben. Sobald die geliehene Wäsche wieder in Stand gesetzt ist, miethen wir Pferde und reiten in vollem Trabe ab. Diesmal wünschte er schon beim Abreiten das Ziel erreicht zu haben. Sobald sich das Herz den Leidenschaften öffnet, öffnet es sich auch gleichzeitig der Langenweile des Lebens. Habe ich meine Zeit nicht verloren, so wird er jedoch sein ganzes Leben nicht in diesem Zustande zubringen.
    Unglücklicherweise ist der Weg beschwerlich und die Gegend zum Reiten wenig geeignet. Wir verirren uns und er gewahrt es zuerst. Ohne die Geduld zu verlieren, ohne in Klagen auszubrechen, verwendet er seine ganze Aufmerksamkeit darauf, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Lange irrt er umher, bis er sich zurechtfindet, aber immer mit der gleichen Kaltblütigkeit. In euren Augen wird das nicht als etwas Besonderes gelten, in meinen aber gilt es als ein hoher Beweis seiner Selbstbeherrschung, da ich sein hitziges Temperament kenne. Ich erblicke darin die Frucht der Sorgfalt, mit der ich es mir seit seiner Kindheit habe angelegen sein lassen, ihn gegen die Schläge des Unvermeidlichen abzuhärten.
    Endlich langen wir an. Die Aufnahme, welche uns zu Theil wird, ist noch einfacher und verbindlicher als das erste Mal. Wir gehören ja jetzt schon zu den alten Bekanntschaften. Emil und Sophie begrüßen sich mit einer gewissen Verlegenheit und reden nur wenig mit einander. Was hätten sie sich auch wol in unserer Gegenwart sagen können? Die Unterhaltung, nach der sie sich sehnten,bedarf keiner Zeugen. Wir machen im Garten einen Spaziergang. Diesem Garten dienen als Lustplatz sehr umfangreiche Gemüsebeete, als Park ein aus großen und schönen Obstbäumen jeglicher Art bestehender Obstgarten, nach verschiedenen Richtungen hin von hübschen Bächen und Rabatten mit blühenden Blumen bedeckt. »Ein herrlicher Ort,« ruft Emil aus, der seinen Homer stets im Kopfe hat und beständig in Begeisterung schwebt, »ich glaube den Garten des Alkinous zu sehen.« Die Tochter des Hauses wünscht zu wissen, wer Alkinous ist, und die Mutter stellt dieselbe Frage. »Alkinous,« sage ich zu ihnen, »war ein König von Korkyra, dessen Garten, den Homer beschrieben hat, in den Augen von Leuten, die auf Geschmack Anspruch machen, für zu einfach und zu schmucklos gilt. [22]
    Dieser Alkinous besaß eine liebenswürdige Tochter, welcher den Tag vor der gastfreien Aufnahme eines Fremden im Hause ihres Vaters träumte, daß sie sich baldvermählen würde.« Sophie geräth in Verwirrung, erröthet, schlägt die Augen nieder, beißt sich auf die Zunge; die Verlegenheit, die sich ihrer bemächtigt, läßt sich nicht beschreiben. Der Vater, der ein Gefallen daran zu finden scheint, sie noch zu vermehren, ergreift das Wort und erzählt, daß die junge Prinzessin selbst die Wäsche im Flusse gewaschen habe. »Kannst du wol glauben,« fährt er fort, »daß sie es sogar nicht unter ihrer Würde gehalten hat, die schmutzigen Servietten zu berühren, obwol sie einen unangenehmen

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