Emil oder Ueber die Erziehung
Speisegeruch verbreiteten?« Sophie, auf welche dieser Hieb gemünzt ist, vergißt plötzlich ihre natürliche Schüchternheit, und entschuldigt sich mit größter Lebhaftigkeit. Der Papa wisse recht wohl, daß sie die ganze kleine Wäsche, wenn man ihr den Willen gelassen hätte, [24] allein übernommen, ja mit Freuden noch mehr gethan haben würde, wenn man ihr den Auftrag dazu ertheilt. Bei diesen Worten sieht sie mich verstohlen und mit einer gewissen Unruhe an. Ich kann mich eines Lächelns nicht erwehren, da ich in ihrem arglosen Herzen den Aufruhr erkenne, der ihr diese Worte eingegeben hat. Ihr Vater ist grausam genug, diese Unbesonnenheit erst recht auffallend zu machen, indem er sie mit spöttischem Tone fragt, aus welchem Grunde sie eigentlich das Gespräch auf sich selber lenke, und was sie denn mit der Tochter des Alkinous gemein habe? Verlegen und zitternd wagt sie kaum noch zu athmen oder den Blick zu Jemand zu erheben. Reizendes Mädchen, jetzt ist es zu spät, dich zu verstellen; unbewußt hast du dich bereits erklärt.
Zu Sophiens Glück ist diese kleine Scene indeß bald vergessen oder scheint es wenigstens zu sein. Emil allein hat von dem ganzen Vorgange nichts begriffen. Der Spaziergang wird fortgesetzt, und unseren jungen Leuten, die uns Anfangs zur Seite geblieben waren, wird es schwer, sich nach unseren langsamen Schritten zu richten. Nach und nach gewinnen sie einen Vorsprung, nähern sich, knüpfenein Gespräch an, und endlich sehen wir sie ziemlich weit vor uns. Sophie scheint aufmerksam und gesetzt; Emil redet und macht außerordentlich feurige Gesticulationen. Die Unterhaltung scheint Beiden keine Langeweile zu bereiten. Nach Verlauf einer guten Stunde treten wir den Rückweg an; auf unsern Ruf kommen sie, wenn auch ziemlich langsam, zurück, und es entgeht uns nicht, daß sie die Zeit noch auf das Beste benutzen. Bevor sie jedoch in Hörweite gelangt sind, stockt endlich plötzlich ihre Unterhaltung, und sie verdoppeln ihre Schritte, um wieder mit uns zusammenzutreffen. Emil redet uns offen und freundlich an; seine Augen strahlen vor Freude, indeß richtet er sie mit einiger Unruhe auf Sophiens Mutter, um zu sehen, wie sie dieselbe empfangen wird. Sophie weiß nicht ein eben so ungezwungenes Benehmen zu beobachten. Der Gedanke, sich mit einem jungen Manne allein in einem traulichen Zusammensein befunden zu haben, scheint sie bei ihrer Ankunft noch immer verlegen zu machen, sie, die schon so oft mit anderen jungen Herren allein gewesen ist, ohne darüber in Verlegenheit zu gerathen, und ohne daß man darin etwas Unrechtes erblickt hätte. Sie eilt, ein wenig athemlos, auf ihre Mutter zu, und äußert einige nichtssagende Worte, damit es so aussehen sollte, als wäre sie schon lange wieder da.
An der Heiterkeit, welche sich auf dem Antlitze dieser liebenswürdigen Kinder ausprägt, läßt sich errathen, daß diese Unterhaltung ihre jungen Herzen von einer großen Last befreit hat. Sie zeigen zwar nicht weniger Zurückhaltung gegen einander, allein in derselben spricht sich nicht mehr eine so große Verlegenheit aus wie vorher. Sie wurzelt nur noch in Emils Ehrfurcht, in Sophiens Bescheidenheit und Beider Sittsamkeit. Emil wagt einige Worte an sie zu richten, und sogar sie wagt bisweilen zu antworten, aber nie öffnet sie den Mund, ohne ihre Mutter dabei unverwandt anzublicken. Am unverkennbarsten tritt der Wechsel ihrer Gesinnung gegen mich zu Tage. Sie bezeigt mir eine zuvorkommendere Aufmerksamkeit, betrachtet mich mit Theilnahme, redet in wahrhaft herzlicher Weise mit mir und sucht Alles hervor, was mir gefallen kann.Ich erkenne daraus, daß ich mir ihre Achtung errungen habe, und daß es ihr angelegen ist, sich die meinige zu verdienen. Es ist klar, daß Emil mit ihr über mich gesprochen hat; ja man könnte fast auf den Gedanken kommen, daß sie bereits ein Complot geschmiedet, mich zu gewinnen. Trotzdem ist dies nicht der Fall, denn auch Sophie läßt sich nicht so leicht gewinnen. Es wird für ihn vielleicht besser sein, daß ich bei ihr in Gunst stehe, als daß sie sich mein Wohlwollen erworben hat. Reizendes Paar! … Wenn ich erwäge, daß mein junger Freund trotz seines erregbaren Herzens selbst bei der ersten Unterredung mit seiner Geliebten meiner in so freundlicher Weise gedacht hat, so ernte ich den Lohn für meine Mühe. Seine Freundschaft hat mir Alles vergolten.
Die Besuche werden wiederholt. Die Unterhaltungen zwischen unseren jungen Leuten werden häufiger. Emil
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