Emil oder Ueber die Erziehung
sich glücklich schätzt, daß er, um Sophie zu gefallen, nur das zu thun braucht, was er von selbst thun würde, wenn es auch gar keine Sophie gäbe oder er sie nicht so innig liebte. Wer könnte sich, wenn er auch nur eine geringe Kenntniß von Emils Charakter hat, sein Benehmen bei dieser Gelegenheit nicht vorstellen?
So bin ich denn der Vertraute meiner beiden jungen Leute und der Vermittler ihrer Liebe. Eine schöne Aufgabe für einen Erzieher! So schön in der That, daß ich in meinem ganzen Leben nichts verrichtet habe, was mich in meinen eigenen Augen so erhoben und mir eine so große Zufriedenheit mit mir selbst verliehen hätte. Uebrigens ist diese Beschäftigung mit mancherlei Annehmlichkeiten verknüpft. Ich bin im Hause nicht unwillkommen. Bei der Sorge, die es macht, die Liebenden in Ordnung zu halten, verläßt man sich ganz auf mich. Emil, der inewiger Furcht schwebt, mir zu mißfallen, war nie so lenksam wie jetzt. Das junge Mädchen erdrückt mich förmlich mit ihren Freundschaftsbezeigungen, durch die ich mich jedoch nicht täuschen lasse, sondern von denen ich nur so viel als meiner Person geltend betrachte, als mir gefällt. Auf diese Weise entschädigt sie sich mittelbar für die Ehrfurcht, in welcher sie Emil erhält. In meiner Person überhäuft sie ihn mit tausenderlei zärtlichen Liebkosungen, die sie ihm nimmer erweisen würde, und wenn es ihr Leben gälte. Emil dagegen, der da weiß, daß ich nicht die Absicht habe, seinen Interessen zu schaden, ist entzückt darüber, daß ich in einem so guten Einvernehmen mit ihr lebe. Er tröstet sich, wenn sie auf einem Spaziergange seinen Arm ablehnt, sobald es nur geschieht, um aus Rücksicht für ihn den meinigen vorzuziehen. Er entfernt sich ohne Murren, nachdem er mir die Hand gedrückt und mit Mund und Augen ganz leise gesagt hat: »Freund, sprechen Sie für mich.« Aufmerksam folgt er uns mit den Augen. Er bemüht sich, unsere Gefühle auf unseren Gesichtern zu lesen und sich den Gang unseres Gesprächs aus unseren Geberden zu erklären. Er weiß, daß Alles, was wir reden, nur ihn betrifft. Gute Sophie, welche Freude gewährt es deinem aufrichtigen Herzen, wenn du dich, ohne von Telemach gehört zu werden, mit seinem Mentor unterhalten kannst! Mit welch liebenswürdiger Offenherzigkeit lässest du ihn Alles lesen, was dein zärtliches Herz bewegt! Mit welcher Freude zeigst du ihm deine ganze Achtung vor seinem Zöglinge! Mit welch rührender Unbefangenheit enthüllst du ihm noch weit süßere Gefühle! Mit welch erheucheltem Zorne verabschiedest du den aufdringlichen Verehrer wieder, wenn er sich von seiner Ungeduld hinreißen läßt, dich zu unterbrechen! Mit welch reizendem Unwillen wirfst du ihm seine Rücksichtslosigkeit vor, wenn er dich verhindern will, etwas Gutes von ihm zu sagen oder zu hören, und in meinen Antworten stets einen neuen Grund zu finden, ihn zu lieben!
Nachdem Emil es endlich so weit gebracht hat, daß er als erklärter Liebhaber geduldet wird, nimmt er auch alle Rechte eines solchen in Anspruch. Er plaudert, ist empfindlich,fleht, wird lästig. Wie streng man auch mit ihm reden, wie sehr man ihn auch quälen mag, er fragt wenig danach, wenn es ihm nur gelingt, sich Gehör zu verschaffen. Endlich setzt er es, wenn auch mit vieler Mühe, durch, daß Sophie sich ihrerseits geneigt zeigt, offen die Herrschaft einer Geliebten über ihn auszuüben, daß sie ihm vorschreibt, was er thun soll, daß sie befiehlt, anstatt zu bitten, daß sie genehmigt, anstatt zu danken, daß sie Zahl und Zeit der Besuche festsetzt, daß sie ihm verbietet, vor dem bestimmten Tage zu kommen und seinen Besuch über die bestimmte Stunde auszudehnen. Und das Alles faßt sie nicht etwa scherzhaft auf, sondern es ist ihr voller Ernst. Verstand sie sich Anfangs nur mit Mühe dazu, diese Rechte anzunehmen, so beweist sie dagegen bei Ausübung derselben eine Strenge, die den armen Emil oft mit Bedauern erfüllt, sie ihr eingeräumt zu haben. Was sie aber auch immer anordnen mag, so erhebt er niemals Widerspruch dagegen, und oft blickt er mich, wenn er fortgeht, um zu gehorchen, mit freudestrahlenden Augen an, welche mir sagen sollen: »Du kannst dich jetzt selbst überzeugen, daß sie mich als ihr Eigenthum betrachtet.« Indessen wirft ihm die Hochmüthige einen verstohlenen Blick zu und lächelt im Geheimen über den Stolz ihres Sklaven.
Albano und Raphael, leihet mir den Pinsel der reinsten Wonne! Göttlicher Milton, lehre meine ungeübte Feder die
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