Emil oder Ueber die Erziehung
Freuden der Liebe und der Unschuld schildern! Aber nein, verberget vielmehr eure gleißnerische Kunst vor der heiligen Wahrheit der Natur. Wenn ihr nur fühlende Herzen und züchtige Seelen habt, dann könnt ihr eure Phantasie frei und unbesorgt über die Wonne der beiden jungen Liebenden umherschweifen lassen, welche sich unter den Augen ihrer Eltern und Führer ungescheut der süßen und doch so trügerischen Illusion überlassen, in dem Freudenräusche ihres Sehnens sich langsam dem Ziele nähern und aus Kränzen und Blumengewinden das Band schlingen, welches sie bis zum Grabe vereinigen soll. So viel bezaubernde Bilder müssen mich endlich selbst in eine Art Rausch versetzen; ohne Ordnung und bestimmte Reihenfolge bieten sich mir stets neue dar. Wer, der ein Herzhat, sollte sich nicht das köstliche Gemälde der verschiedenen Lagen des Vaters, der Mutter, der Tochter, des Erziehers, des Zöglings und Aller Zusammenwirken zur Vereinigung des reizendsten Paares, dessen Glück Liebe und Tugend begründen können, zu entwerfen vermögen?
Jetzt, wo Emil Alles hervorsucht, um zu gefallen, beginnt er zu fühlen, wie werthvoll die zur Erheiterung beitragenden Künste sind, welche er sich angeeignet hat. Sophie findet Freude am Gesang, und deshalb singt er mit ihr. Ja, er läßt es dabei nicht bewenden, er gibt ihr auch Unterricht in der Musik. Sie ist lebhaft und anmuthig, hüpft gern umher, und folglich tanzt er mit ihr. Er verwandelt ihre kunstlosen Sprünge in zierlichen Tanz und bildet sie in dieser Kunst vollkommen aus. Diese Unterrichtsstunden sind reizend, ausgelassene Heiterkeit belebt sie und versüßt die schüchterne Zurückhaltung der Liebe. Einem Liebenden ist es schon gestattet, solchen Unterricht mit Wonne zu geben; es ist ihm gestattet, als Herr seiner Herrin aufzutreten.
Man hat ein altes, völlig unbrauchbares Clavier. Emil bringt es wieder leidlich in Ordnung und stimmt es. Er versteht sich auf die Anfertigung musikalischer Instrumente eben so gut wie auf die Tischlerei. Hat er doch stets den Grundsatz befolgt, in Allem, was er selbst verrichten kann, auf fremde Hilfe zu verzichten. Das Haus hat eine malerische Lage; er nimmt verschiedene Ansichten desselben auf, bei welchem ihm auch Sophie mitunter hilfreiche Hand leistet, und mit denen sie dann das Arbeitszimmer ihres Vaters schmückt. Die Rahmen sind freilich nicht vergoldet, aber es bedarf solcher auch gar nicht. Dadurch, daß Sophie Emil beim Zeichnen zuschaut und seine Arbeiten nachzeichnet, vervollkommnet sie sich mehr und mehr auch in dieser Kunst, denn auch in ihr nimmt sie ihn sich zum Muster. Sie pflegt alle ihre Talente, und ihre Anmuth verschönert sie alle. Ihre Eltern erinnern sich wieder der Zeiten ihres früheren Reichthums, da sie von Neuem die schönen Künste, die ihnen denselben allein werth machten, rings um sich glänzen sehen. Die Liebe hat ihr ganzes Haus geschmückt; sie allein ist der Zauberstab, unter demdarin wieder ohne Kosten und Mühe dieselben Freuden erblühen, welche sonst nur mit großem Geldaufwands und mit vielen Verdrießlichkeiten erkauft werden konnten.
Wie der Götzendiener den Gegenstand seiner Verehrung mit den Schätzen, die für ihn den höchsten Werth haben, bereichert und auf seinem Altare den Gott schmückt, den er anbetet, so will der Liebende die Reize seiner Geliebten, so vollkommen sie auch in seinen Augen ist, mit immer neuem Schmucke noch erhöhen. Sie bedarf desselben freilich nicht, um ihm zu gefallen, aber für ihn ist es ein Bedürfnis, sie zu schmücken. Er glaubt ihr damit eine neue Huldigung zu erweisen; seine Freude, sie zu betrachten, erhält dadurch einen neuen Reiz. Es kommt ihm so vor, als nehme nichts Schönes seine richtige Stelle ein, wenn es nicht zum Schmuck der höchsten Schönheit dient. Es ist ein eben so rührender wie lächerlicher Anblick, zu sehen, mit welchem Eifer Emil Sophien in Allem unterrichtet, was er weiß, ohne erst zu fragen, ob sie auch zu dem, was er ihr beibringen will, Lust hat, oder ob es sich überhaupt für sie eignet. Er spricht mit ihr von Allem und erklärt ihr Alles mit wahrhaft kindischem Eifer. Er bildet sich ein, sobald er es ihr nur sage, werde sie ihn augenblicklich verstehen. Er stellt sich schon im Voraus vor, eine wie große Freude es ihm bereiten werde, mit ihr zu denken und zu philosophiren. Der Theil seiner Kenntnisse, den er vor ihren Augen nicht entfalten kann, erscheint ihm völlig unnütz. Es treibt ihm fast die Schamröthe in die
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