Emil oder Ueber die Erziehung
sich an dembeschränkten Vermögen des Mannes so wie an der Mäßigkeit seines geschlechtlichen Verlangens leicht erkennen, daß ihn die Natur dazu bestimmt hat, sich mit einer einzigen Frau zu begnügen. Eine Bestätigung findet diese Annahme in der numerischen Gleichheit der Individuen beider Geschlechter, wenigstens in unserem Klima, eine Gleichheit, die bei den Thiergattungen nicht vorhanden ist, in denen die größere Fähigkeit der Männchen mehrere Weibchen um ein einziges schaart. Obgleich der Mann nicht wie der Tauber brütet und eben so wenig Brüste hat, um zu säugen, weswegen er eigentlich in die Classe der Vierfüßler gehört, so ist die Frau doch auch auf seine Hilfe angewiesen, denn die Kinder sind so lange schwach und ungeschickt, daß sie wie die Mutter nicht leicht der Liebe des Vaters und seiner um ihretwillen gern gebrachten Opfer entbehren könnten.
Alle diese übereinstimmenden Beobachtungen liefern demnach den Beweis, daß sich aus der leidenschaftlichen Eifersucht der Männchen in manchen Thierclassen noch kein Schluß auf den Menschen ziehen läßt. Sogar in der Ausnahme der wärmeren Himmelsstriche, in denen fast überall die Vielweiberei zur Herrschaft gelangt ist, findet dies Princip nur eine noch größere Bestätigung, weil die größere Anzahl der Frauen die Männer zu tyrannischen Vorsichtsmaßregeln geführt und das Gefühl der eigenen Schwäche sie zur Anwendung eines Zwanges getrieben hat, um die Naturgesetze zu umgehen.
Unter uns, wo die gleichen Gesetze in diesem Punkte zwar weniger, dafür aber in einem entgegengesetzten und noch weit verabscheuungswertheren Sinne um so häufiger umgangen werden, hat die Eifersucht ihre Veranlassung mehr in den in der Gesellschaft herrschenden Leidenschaften als in dem ursprünglichen Naturtriebe. Bei den meisten galanten Verhältnissen übersteigt der Haß, den der Liebende gegen seine Nebenbuhler hegt, um Vieles seine Liebe zur Geliebten. Wenn er befürchtet, nicht der Einzige zu sein, der Erhörung gefunden hat, so ist dies die Wirkung jener Eigenliebe, deren Ursprung ich bereits nachgewiesen habe, und es leidet darunter mehr die Eitelkeit als dieLiebe. Außerdem haben unsere ungeschickten Einrichtungen die Frauen zu einer solchen Verstellung [25] getrieben und ihre Gelüste in so hohem Grade entflammt, daß man sich kaum auf ihre erprobteste Zuneigung verlassen kann, und daß sie außer Stande sind, einen Vorzug zu erkennen zu geben, welcher über die Furcht vor Nebenbuhlern zu beruhigen vermöchte.
Mit der wahren Liebe verhält es sich anders. In der schon erwähnten Schrift habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß dies Gefühl nicht so natürlich ist, als man wol denkt. Es ist ein bedeutender Unterschied zwischen der süßen Gewohnheit, welche den Mann mit Zuneigung zu seiner Gefährtin erfüllt, und jener zügellosen Leidenschaft, welche sich an den eingebildeten Reizen eines Gegenstandes berauscht, der sich ihr ganz anders darstellt, als er in Wirklichkeit ist. Diese Leidenschaft, die den ausschließlichen Vorzug für sich in Anspruch nimmt, unterscheidet sich nur in so fern von der Eitelkeit, als diese Alles verlangt und nichts gewährt, weshalb sie stets unbillig auftreten wird, während die Liebe, die eben so viel gewährt als sie verlangt, schon an sich ein von Billigkeit erfülltes Gefühl ist. Je mehr sie übrigens verlangt, desto mehr ist sie zur Leichtgläubigkeit geneigt. Dieselbe Illusion, welche sie hervorruft, bewirkt, daß sie sich leicht überreden läßt. Ist die Liebe voller Unruhe, so ist die Achtung dagegen voller Vertrauen, und nie bestand Liebe ohne Achtung in einem ehrbaren Herzen, weil Jeder in dem Gegenstaude seiner Liebe nur Eigenschaften liebt, auf die er den höchsten Werth legt.
Befindet man sich darüber im Klaren, so kann man mit Sicherheit voraussagen, welcherlei Art von Eifersucht Emil fähig sein wird; denn da diese Leidenschaft kaum einen Keim in dem menschlichen Herzen hat, so wird dieGestalt, in der sie auftritt, einzig und allein von der Erziehung bestimmt. Liebt Emil und bemächtigt sich seiner die Eifersucht, so wird er nicht etwa zornig, aufgebracht und mißtrauisch, sondern zart, gefühlvoll und schüchtern sein. Er wird sich mehr beunruhigt als gereizt zeigen. Er wird es sich mehr angelegen sein lassen, seine Geliebte zu gewinnen, als seinen Nebenbuhler zu bedrohen. Er wird ihn als ein Hinderniß auf die Seite zu schieben suchen, wenn es ihm möglich ist, ihn aber nicht als einen Feind
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