Emil oder Ueber die Erziehung
meinen, daß sie, nicht zufrieden mit der glühenden Leidenschaft, die sie durch eine köstliche Mischung von Zurückhaltung und Zärtlichkeit in ihm entzündet hat, aucheine ganz besondere Lust dann findet, diese Leidenschaft durch ein wenig Unruhe noch immer mehr anzustacheln. Man sollte meinen, sie gehe absichtlich darauf aus, ihre jungen Gäste zu erheitern, nur um Emil durch den Anblick einer Fröhlichkeit, die ihr so gut steht und die sie doch nie ihm gegenüber zu zeigen wagt, Qualen zu bereiten. Indest ist Sophie zu aufmerksam, zu gut und zu verständig, um ihn wirklich zu quälen. Um dieses gefährliche Reizmittel zu mildern, vertreten bei ihr Liebe und Sittsamkeit die Stelle der Klugheit. Sie versteht ihn in Unruhe zu versetzen, aber im rechten Augenblicke auch wieder zu besänftigen, und wenn sie ihn auch bisweilen beunruhigt, so betrübt sie ihn doch niemals. Um der Besorgniß willen, die sie hegt, sie könne ihren Geliebten nie fest genug an sich fesseln, wollen wir ihr die Sorge verzeihen, die sie ihm bisweilen bereitet.
Welche Wirkung werden nun aber diese kleinen Künste auf Emil ausüben? Wird er eifersüchtig werden, oder wird er es nicht werden? Das wäre jetzt zu untersuchen, denn dergleichen Abschweifungen gehören ebenfalls zu dem Gegenstande dieser Abhandlung und entfernen mich nur wenig von der Sache selbst.
Ich habe schon vorher den Nachweis geführt, daß diese Leidenschaft bei den Dingen, die lediglich auf der Meinung beruhen, in den Herzen der Menschen erwacht. Bei der Liebe verhält es sich jedoch anders. Hier scheint die Eifersucht so nahe an Natur zu streifen, daß sich kaum annehmen läßt, sie habe ihre Quelle nicht in derselben. Selbst das Beispiel der Thiere, unter denen sich bei verschiedenen die Eifersucht bis zur Wuth steigert, scheint dies unwiderleglich zu beweisen. Bringt etwa die Meinung der Menschen die Hähne dazu, sich zu zerfleischen, und die Stiere, sich bis auf den Tod zu bekämpfen?
Der Widerwille gegen Alles, was unsere Freuden stört und trübt, ist, wie sich nicht bestreiten läßt, eine natürliche Regung. Bis zu einem gewissen Punkte verhält es sich mit dem Verlangen, den Gegenstand, der unser Gefallen erregt, ausschließlich zu besitzen, freilich eben so. Wenn sich jedoch dieses zur Leidenschaft gewordene Verlangen inWuth oder in eine mißtrauische und verletzende Laune, unter dem Namen Eifersucht, verwandelt, dann ist es etwas Anderes. Diese Leidenschaft kann allerdings ihre Quelle in der Natur haben, aber es ist nicht immer der Fall; es ist nothwendig, hierbei einen Unterschied zu machen.
Das der Thierwelt entnommene Beispiel habe ich bereits früher in meiner Abhandlung über die Ungleichheit ( discours sur l’inégalité ) weitläufig erörtert, und jetzt, wo ich von Neuem darüber nachdenke, scheint mir die damals angestellte Untersuchung erschöpfend und überzeugend genug, um es wagen zu dürfen, meine Leser auf sie zu verweisen. Zu den Unterscheidungen, die ich in jener Schrift gemacht habe, will ich nur die Bemerkung hinzufügen, daß die Eifersucht, welche aus der Natur stammt, hauptsächlich von der geschlechtlichen Fähigkeit bedingt wird, so daß sie da, wo diese Fähigkeit unbegrenzt ist oder zu sein scheint, ihren Gipfelpunkt erreicht, denn dann betrachtet das Männchen, welches seine Rechte nach seinen Bedürfnissen abmißt, jedes andere Männchen nur als einen nicht zu duldenden Nebenbuhler. Da sich in diesen Thiergattungen die Weibchen den zuerst Kommenden ergeben, so gehören sie den Männchen auch nur nach dem Rechte der Eroberung und verursachen deswegen ewige Kämpfe unter ihnen.
In den Gattungen dagegen, wo sich das Männchen nur ein Weibchen zugesellt, wo die Paarung folglich eine Art moralisches Band, eine Art Ehe hervorruft, setzt das Weibchen, da es dem Männchen seiner Wahl, dem es sich ergeben hat, angehört, gewöhnlich jedem anderen Widerstand entgegen. Da nun dem Männchen für die Treue des Weibchens der Umstand bürgt, daß es ihm ja nur aus Liebe den Vorzug geschenkt hat, so beunruhigt es sich auch weniger bei dem Anblicke anderer Männchen und lebt mit ihnen friedlicher. In diesen Gattungen theilt das Männchen die Sorge für die Jungen, und nach einem jener Naturgesetze, welche man nicht ohne Rührung wahrnehmen kann, scheint das Weibchen dem Vater die Zuneigung, die er für seine Kinder hegt, vergelten zu wollen.
Lenken wir nun unsere Blicke auf das Menschengeschlecht in seiner ursprünglichen Einfachheit, so läßt
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