Emil oder Ueber die Erziehung
es ein ehrenvolles und sicheres Mittel, sie wieder von dir abzuschütteln: übe sie mit solcher strengen Rechtlichkeit, daß man sie dir nicht lange läßt. Uebrigens braucht dich der Gedanke an die Last eines solchen Amtes nicht sehr zu beunruhigen,denn so lange die Männer dieses Jahrhunderts nicht ausgestorben sind, wird man dich schwerlich in den Staatsdienst berufen.«
Leider ist es mir nicht gestattet, Emils Rückkehr zu Sophie und das Ende ihrer Liebe, oder vielmehr den Anfang der ehelichen Liebe zu schildern, die sie für immer vereinigt, einer Liebe, die auf lebenslängliche Achtung, auf Tugenden, die nicht mit der Schönheit vergehen, und auf eine Übereinstimmung der Charaktere gegründet ist, welche den Umgang so freundlich gestaltet und den Zauber der ersten Vereinigung bis ins Alter hinein verlängert. Aber wenn alle diese Einzelheiten auch Gefallen erregen würden, so könnten sie doch keinen Nutzen stiften; und bisher habe ich mir nur solche Einzelheiten mitzutheilen erlaubt, die nicht allein zu interessiren vermochten, sondern deren Nutzen ich auch einzusehen glaubte. Sollte ich noch am Schlüsse meiner Aufgabe von dieser Regel abgehen? Nein, auch fühle ich nur zu wohl, daß meine Feder ermüdet ist. Zu schwach für ein so umfangreiches Werk, würde ich dasselbe gänzlich liegen lassen, wenn es nicht bereits so weit vorgeschritten wäre. Um es nicht unvollendet zu lassen, ist es Zeit, es zu beenden.
Endlich sehe ich den entzückendsten Tag für Emil und den glücklichsten für mich anbrechen. Meine Mühe sehe ich gekrönt und beginne mich ihrer Frucht zu erfreuen. Das einander würdige Paar wird durch ein unauflösliches Band vereint, ihr Mund spricht und ihr Herz bestätigt die Schwüre, die ihnen stets heilig sein werden: sie sind Gatten. Bei der Rückkehr aus dem Gotteshause lassen sie sich führen; sie wissen weder wo sie sind, noch wohin sie gehen, noch was um sie her geschieht. Sie hören nicht und antworten nur verwirrte Worte, ihre vor Aufregung blitzenden Augen sehen nichts mehr. O süßer Wahn! O menschliche Schwäche! Das Gefühl des Glücks vernichtet den Menschen; er ist nicht stark genug, es zu ertragen.
Nur wenig Leute verstehen am Hochzeitstage den Neuvermählten gegenüber den richtigen Ton zu treffen. Der ernste Anstand der Einen erscheint mir eben so unpassend wie das leichtsinnige Geschwätz der Andern. Wenn es nachmir ginge, ließe man diese jungen Herzen lieber Einkehr in sich selber halten und sich einer Erregung hingeben, die nicht ohne Reiz ist, anstatt sie so grausam davon abzulenken, um sie durch ein falsches Schicklichkeitsgefühl trübe zu stimmen oder durch übel gewählte Scherze in Verlegenheit zu setzen, durch Scherze, die, wenn sie auch zu jeder anderen Zeit gefallen sollten, an einem solchen Tage sicherlich nicht zu rechtfertigen sind.
Es entgeht mir nicht, daß meine beiden jungen Leute in der süßen Sehnsucht, die sich ihrer bemächtigt hat, auch nicht ein Wort von dem vernehmen, was man zu ihnen spricht. Darf ich, der so lebhaft wünscht, daß man jeden Tag seines Lebens genießen soll, sie wol einen so köstlichen verlieren lassen? Nein, ich will, daß sie ihn genießen, völlig genießen und er ihnen reiche Wonnestunden bringe. Ich entführe sie der Menge, die sich schwatzend und plaudernd um sie drängt, und bringe sie, indem ich abgelegene Spaziergänge mit ihnen aufsuche und das Gespräch auf sie selbst lenke, wieder zu sich selbst zurück. Aber nicht nur zu ihren Ohren, sondern vor allen Dingen zu ihren Herzen will ich reden, und ich bin mir des einzigen Gegenstandes, der sie an diesem Tage zu beschäftigen vermag, sehr wohl bewußt.
»Meine Kinder,« sage ich zu ihnen, indem ich Beider Hand ergreife, »es sind nun schon drei Jahre her, seit ich diese heftige und reine Flamme, welche euch heute glücklich gemacht hat, auflodern sah. Sie hat stets mehr um sich gegriffen. Ich lese in euren Augen, daß sie jetzt zu der höchsten Glut angefacht ist. Von nun an kann sie nur abnehmen.« – Leser, seht ihr nicht Emils leidenschaftliches Aufbrausen, sein heftiges Emporfahren, vernehmt ihr nicht seine Betheuerungen? Seht ihr nicht, mit welch verächtlicher Miene Sophie ihre Hand der meinigen entzieht? Bemerkt ihr nicht die zärtlichen Verheißungen, welche sich ihre Augen gegenseitig zublinken, einander anzubeten bis zum letzten Athemzuge? Ich lasse sie gewähren und fahre darauf fort.
»Ich habe oftmals gedacht, daß man sich die Erde in ein Paradies
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