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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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verwandeln würde, wenn man das ersteLiebesglück bis zu den letzten Tagen der Ehe verlängern könnte. Allein bis jetzt ist dieser Fall noch nicht vorgekommen. Sollte es aber nicht eine völlige Unmöglichkeit sein, so seid ihr Beide dessen im höchsten Grade würdig, ein Beispiel zu geben, zu welchem euch Niemand als Vorbild diente und welches auch nur wenige Gatten nachahmen werden. Wollt ihr, meine Kinder, daß ich euch ein Mittel angebe, welches ich dazu für geeignet und zugleich für das einzige mögliche halte?«
    Lächelnd blicken sie einander an und scheinen sich über meine Einfalt lustig zu machen. Emil will von meinem Mittel gar nichts wissen und meint, Sophie besitze ein noch weit besseres, was ihm für seine Person auch völlig genüge. Sophie ist derselben Ansicht und scheint eben so zuversichtlich. Trotzdem kommt es mir so vor, als ob ihre spöttische Miene auch eine gewisse Neugier wiederspiegle. Ich schaue Emil prüfend an; seine glühenden Augen verschlingen die Reize seiner Gattin. Auf sie allein ist seine Begierde gerichtet, und alle meine Worte vermögen nicht seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Jetzt lächle ich meinerseits, indem ich zu mir selbst sage: Ich werde deine Aufmerksamkeit bald wecken.
    Der fast unmerkliche Unterschied dieser geheimen Bewegungen deutet eine sehr charakteristische Verschiedenheit der beiden Geschlechter an, welche den gäng und gäben Vorurtheilen völlig widerspricht. Sie zeigt sich darin, daß die Männer im Allgemeinen weniger beständig sind als die Frauen und früher als diese einer glücklichen Liebe überdrüssig werden. Die Frau ahnt schon von Weitem die Unbeständigkeit des Mannes und fühlt sich dadurch beunruhigt, [41] worin auch die Ursache ihrer größerenEifersucht liegt. Wird er lau und sieht sie sich gezwungen, um ihn nicht völlig zu verlieren, ihm alle die Aufmerksamkeiten zu erweisen, mit denen sie ihm sonst entgegenkam, um ihm zu gefallen, so weint sie und demüthigt sich nun, aber selten mit dem früheren Erfolge. Zuneigung und Aufmerksamkeiten gewinnen zwar die Herzen, erlangen sie aber nicht wieder. Ich komme auf mein erstes Mittel gegen das Erkalten der Liebe in der Ehe zurück.
    »Es ist einfach und leicht,« beginne ich von Neuem, »man muß, wenn man Gatte ist, nach wie vor Liebhaber bleiben.« – »Fürwahr,« sagt Emil, verstohlen lachend, »das wird uns nicht sehr sauer werden.«
    »Sauerer für dich, der du dies behauptest, als du vielleicht denkst. Laßt mir, wenn ich bitten darf, Zeit, mich weiter darüber auszusprechen.«
    »Das Band, welches man zu straff spannen will, zerreißt. So verhält es sich auch mit dem Bande der Ehe, wenn man ihm mehr Stärke verleihen will, als es besitzen darf. Die Treue, welche sie beiden Gatten auferlegt, ist das heiligste aller Rechte; allein die Gewalt, welche sie Jedem von Beiden über den Andern einräumt, ist zu groß. Zwang und Liebe können nicht neben einander bestehen, und Liebesfreude kann nicht erzwungen werden. Erröthe nicht, Sophie, und denke nicht daran die Flucht zu ergreifen. Da sei Gott vor, daß ich dein keusches Ohr beleidigen wollte! Aber es handelt sich um euer Lebensschicksal. Um eines so großen Zweckes willen verschließet euer Ohr nicht einem Gespräche, welches zwischen Eheleuten und einem Vater stattfindet und welches ihr sonst nicht leiden würdet.«
    »Nicht sowol aus dem Besitze als vielmehr aus dem Zwange entsteht die Übersättigung, und man bewahrt deshalb einem unterhaltenen Mädchen weit länger seine Zuneigung als seiner eigenen Frau. Wie hat man nur aus den zärtlichsten Liebkosungen eine Pflicht und aus den süßesten Bezeugungen der Liebe ein Recht machen können? Nur das gegenseitige Verlangen gibt ein Recht, die Natur kennt kein anderes. Das Gesetz vermag dieses Recht wol einzuschränken, würde ihm aber keine größere Ausdehnunggeben können. Die Sinnenlust ist an sich selbst gar süß; soll sie etwa aus dem traurigen Zwange eine Stärke gewinnen, die ihr ihre eigenen Reize nicht zu gewähren vermöchten? Nein, meine Kinder, in der Ehe sind die Herzen verbunden, allein die Körper sind einander nicht unterworfen. Ihr seid euch Treue, aber keine Willfährigkeit schuldig. Ihr gehört einander an, aber Jeder nur so weit es ihm selbst beliebt.«
    »Ist es also wahr, lieber Emil, daß du der Liebhaber deiner Gattin bleiben willst, daß sie stets deine Geliebte und Herrin ihrer selbst sein soll, dann sei ein glücklicher, aber ehrerbietiger Liebhaber. Erhalte Alles

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