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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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bleiben, habe ich Vermögen, um davon zu leben, und ich werde leben. Will mich dasselbe jedoch unterjochen, so werde ich es ohne Kummer fahren lassen. Ich besitze Arme zur Arbeit, und ich werde leben. Sollten mir aber die Arme fehlen, nun, so werde ich leben, wenn man mich ernährt, und sterben, wenn man mich im Stich läßt, muß ich ja doch eben so gut sterben, wenn man mich auch nicht im Stich läßt, denn der Tod ist nicht ein Leiden der Armuth, sondern ein Gesetz der Natur. Wann auch immer der Tod an mich herantreten möge, ich werde ihm stets trotzen; nie soll er mich überraschen, wenn ich mit Vorbereitungenzum Leben beschäftigt bin; nie soll er mich hindern, gelebt zu haben.«
    »Das, mein Vater, ist der Entschluß, welchen ich gefaßt habe. Wäre ich ohne Leidenschaften, so würde ich in meiner Lage als Mensch unabhängig wie Gott selber sein, weil ich, da ich nur das wollte, was ist, nie gegen das Schicksal würde anzukämpfen brauchen. Wenigstens fesselt mich nur eine Kette; es ist die einzige, die ich je tragen werde, und ihrer darf ich mich rühmen. So kommen Sie denn, geben Sie mir Sophie, und ich bin frei.«
    »Lieber Emil, ich bin sehr froh, aus deinem Munde solche männliche Worte zu vernehmen und aus ihnen die Gefühle deines Herzens zu erkennen. In deinem Alter kann mir diese übertriebene Uneigennützigkeit nicht mißfallen. Sie wird überdies nachlassen, wenn du erst Kinder hast, und du wirst dann genau das sein, was ein guter Familienvater und ein weiser Mann sein soll. Schon vor Antritt deiner Reise wußte ich, welche Wirkung sie in dir hervorbringen würde. Ich wußte, du würdest, wenn du dir unsere Einrichtungen einmal aus der Nähe ansähest, weit davon entfernt sein, ein Vertrauen in sie zu setzen, welches sie keineswegs verdienen. Unter dem Schutze der Gesetze strebt man vergebens nach Freiheit. Der Gesetze! Wo gibt es denn solche? Und wo finden sie Achtung? Unter diesem Namen hast du überall nur das Sonderinteresse und die Leidenschaften der Menschen herrschen sehen. Aber die ewigen Gesetze der Natur und der Ordnung bestehen. Dem Weisen vertreten sie die Stelle des positiven Rechts. Durch das Gewissen und die Vernunft stehen sie im Grunde seines Herzens geschrieben. Sie sind es, denen er sich, um frei zu sein, unterwerfen muß. Nur wer Böses thut, ist ein Sklave, denn er thut es stets gegen seinen Willen. Die Freiheit ist nicht das Ergebniß irgend einer bestimmten Regierungsform, sie wohnt vielmehr in dem Herzen des freien Mannes, der sie überall bei sich trägt, während der niedrig gesinnte Mensch überall die Knechtschaft in sich hegt. Der Eine würde in Genf ein Sklave, der Andere in Paris ein Freier sein.«
    »Wollte ich von den Pflichten des Bürgers mit dir reden, so würdest du mich vielleicht fragen, wo denn das Vaterland ist, und glauben, mich dadurch in Verlegenheit gesetzt zu haben. Trotzdem würdest du dich irren, lieber Emil, denn wer kein Vaterland hat, hat doch wenigstens ein Land. Es gibt immer eine Regierung und Scheinbilder von Gesetzen, unter denen er in Frieden gelebt hat. Daß der sociale Vertrag nicht beobachtet worden ist, was thut das wol zur Sache, wenn ihn das Sonderinteresse eben so geschützt hat, wie es der allgemeine Wille gethan haben würde, wenn ihn die öffentliche Gewalt vor der Privatgewalt behütet hat, wenn ihn das Böse, das unter seinen Augen stattfand, mit Liebe zum Guten erfüllt hat und ihm unsere Einrichtungen selbst die Augen geöffnet haben, daß er ihre eigene Ungerechtigkeit erkennen und hassen mußte? O Emil, wo ist der rechtschaffene Mann, der seinem Lande nichts zu verdanken hätte? Wer er auch immer sein möge, er schuldet ihm, was für den Menschen das Herrlichste ist: die Sittlichkeit seiner Handlungen und die Liebe zur Tugend. Allerdings hätte er, wäre er mitten im Walde geboren, glücklicher und freier gelebt; da er indeß nichts zu bekämpfen gehabt hätte, um seinen Neigungen nachzukommen, so wäre er gut gewesen, ohne daß es ihm hätte zum Verdienst angerechnet werden können, so hätte er keinen Anspruch auf Tugend gehabt, während er ihn jetzt trotz seiner Leidenschaften erheben darf. Der bloße Schein der Ordnung führt ihn schon dazu, sie zu erkennen und zu lieben. Das allgemeine Wohl, welches Anderen nur als Vorwand dient, ist für ihn allein ein wirklicher Beweggrund. Er lernt sich bekämpfen, sich besiegen, sein Interesse dem allgemeinen Interesse zum Opfer zu bringen. Es ist eine Unwahrheit, daß ihm die Gesetze

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