Emil oder Ueber die Erziehung
erkennen; euere verhärteten Herzen sind nicht mehr fähig, es zu lieben. Glücklich und ruhig bringt Sophie den Tag in den Armen ihrer zärtlichen Mutter zu; in ihnen läßt sich süß ruhen, wenn man die Nacht in den Armen eines Gatten geruht hat.
An dem darauf folgenden Tage nehme ich bereits einen Wechsel der Scene wahr. Es macht den Eindruck, als ob Emil ein wenig mißvergnügt ausschaue. Aber durch dieses angenommene Wesen hindurch bemerke ich eine so zärtliche Dienstfertigkeit und sogar einen so hohen Grad von Unterwürfigkeit, daß ich nicht annehmen kann, es sei etwas sehr Verdrießliches vorgefallen. Was Sophie anlangt, so ist sie heiterer als am vorhergehenden Abend, und ich sehe aus ihren Augen einen Blick der Befriedigung leuchten. Gegen Emil ist sie bezaubernd. Sie scheint ihn fast anlocken zu wollen, was seinen Verdruß offenbar nur steigert.
So wenig sich dieser Wechsel auch bemerkbar macht, so ist er meiner Aufmerksamkeit doch nicht entgangen. Ich werde einigermaßen besorgt und frage Emil im Geheimen nach der Ursache. Da erfahre ich denn, daß er in der vergangenen Nacht zu seinem großen Leidwesen und aller seiner stehenden Bitten ungeachtet habe allein schlafen müssen. Die junge Gebieterin hat Eile gehabt, von ihrem Rechte Gebrauch zu machen. Eine Erklärung findet unter ihnen statt. Emil beklagt sich bitterlich, während Sophiein der besten Laune ist. Als sie sich aber endlich überzeugt, daß er ernstlich böse werden will, wirft sie ihm einen Blick voller Liebe und Freundlichkeit zu und sagt, während sie mir die Hand drückt, nur das einzige Wort »der Undankbare«, aber mit einem Tone, der zu Herzen dringen muß. Emil ist so thöricht, daß er den Sinn dieses Wortes nicht zu fassen vermag. Ich aber verstehe ihn, lasse Emil zurücktreten und rede nun mit Sophie unter vier Augen.
»Ich durchschaue,« sage ich zu ihr, »die Ursache dieses Einfalls. Man könnte nicht mehr Zartgefühl besitzen, vermöchte es aber auch nicht in ungeeigneterer Weise zum Ausdruck zu bringen. Beruhige dich, liebe Sophie. Ich habe dir einen Mann gegeben, scheue dich also auch nicht, ihn als einen solchen zu behandeln. Er hat dir eine unentweihte Jugend gebracht, hat sie an Niemanden vergeudet und wird sie dir lange bewahren.«
»Ich muß dir, liebes Kind, die Ansichten, welche ich in unserem vorgestrigen Gespräche entwickelte, weitläufiger auseinandersetzen. Vielleicht hast du in ihnen nur den Rath erblickt, in eueren Genüssen um deswillen Maß zu halten, um sie dauernder zu machen. Nein, Sophie, ich verfolgte dabei einen andern Zweck, der meiner Sorgfalt würdiger ist. Emil ist nicht nur dein Gatte, sondern dadurch zugleich dein Herr geworden. Dir kommt das Gehorchen zu, denn so hat es die Natur gewollt. Gleicht aber ein Weib Sophie, so ist es trotzdem gut, daß der Mann von ihr geleitet wird. Auch dies ist ein Gesetz der Natur. Um dir so viel Macht über sein Herz zu gewähren, wie ihm sein Geschlecht über deine Person einräumt, habe ich dich zur Herrin seiner Genüsse gemacht. Es wird dir schmerzliche Entbehrungen kosten; aber du wirst ihn beherrschen, falls du dich selber zu beherrschen verstehst. Was bereits vorgefallen ist, liefert mir den Beweis, daß diese schwierige Kunst deinen Muth nicht übersteigt. Deine auf Liebe gegründete Herrschaft wird lange dauern, wenn du deine Liebesbezeugungen selten und kostbar machst und ihn lehrst, ihren Werth zu würdigen. Willst du deinen Mann fortwährend zu deinen Füßen sehen, so halte ihnimmer in einiger Entfernung von deiner Person. Paare aber deine Strenge mit Bescheidenheit und laß sie nicht etwa launisch erscheinen. Zeige dich ihm zurückhaltend, aber nicht eigensinnig. Hüte dich, daß in ihm Zweifel an deiner Liebe aufsteigen, weil du dich seiner Liebe zu selten hingibst. Flöße ihm durch deine Liebesbezeigungen Liebe zu dir ein und Achtung durch deine Weigerungen. Bringe es dahin, daß er die Keuschheit seiner Frau ehren muß, ohne Ursache zu haben, sich über ihre Kälte zu beklagen.«
»Auf diese Weise, mein Kind, wird er dir sein volles Vertrauen schenken, deinen Rath beachten, dich bei seinen Angelegenheiten zu Rathe ziehen und nichts beschließen, ohne es vorher mit dir überlegt zu haben. Auf diese Weise kannst du ihn wieder zur Vernunft zurückrufen, wenn er auf Abwege geräth, kannst du ihn durch sanfte Ueberredung auf den rechten Weg zurückleiten, kannst du dich liebenswürdig zeigen, um ihm nützlich zu werden, kannst du die Coquetterie
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