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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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nötigenfalls als Zauberworte bedienen könnte, um seine ganze Umgebung seinem Willen zu unterwerfen und augenblicklich seine Wünsche befriedigt zu sehen. Bei der nur auf den äußern Schliff angelegten Erziehung der Reichen begeht man stets denFehler, ihnen ein gebieterisches Wesen einzuimpfen, welches auch unter den feinen und höflichen Formen stets hervortritt. Man schreibt ihnen die Ausdrücke vor, die sie anwenden müssen, damit ihnen Niemand zu widerstehen wage. Bei den Kindern der Reichen stehen deshalb Mienen und Ton nie mit ihren bittenden Worten in Einklang; bei ihren Bitten treten sie mit gleicher, ja noch mit größerer Anmaßung als bei ihren Befehlen auf, da sie dessen völlig sicher sind, unbedingten Gehorsam zu finden. Man fühlt sofort hindurch, daß die Ausdrücke: »Wenn es Ihnen gefällig ist« und »Ich bitte Sie«, in ihrem Munde: »Es ist mir gefällig« und »Ich befehle es Ihnen« bedeuten. Eine vortreffliche Höflichkeit, die bei ihnen nur darauf hinausläuft, den Worten einen andern Sinn unterzulegen und stets gebieterisch zu reden. Ich meinestheils, der ich bei meinem Emil einen geringeren Uebelstand darin erkennen würde, wenn er sich unhöfliche Formen als ein anmaßendes Wesen aneignete, würde es lieber sehen, daß er bittend sagte: »Thue das,« als befehlend: »Ich bitte Sie.« Nicht die angewendeten Worte, sondern der damit verbundene Sinn ist von Wichtigkeit.
    Es gibt sowol in der Strenge wie in der Nachsicht eine Grenze, die man nicht überschreiten darf. Lasset ihr die Kinder leiden, so gefährdet ihr ihre Gesundheit, ja ihr Leben, und macht sie dadurch wirklich elend; haltet ihr dagegen mit zu übertriebener Vorsicht jede Art von Unbehaglichkeit von ihnen fern, so legt ihr dadurch den Grund zu großen Leiden, verhätschelt und verzärtelt sie und entfremdet sie dem menschlichen Standpunkte, auf den sie wider euren Willen doch eines Tages wieder zurückkehren werden. Um sie möglicher Weise vor einigen Leiden zu behüten, die aus der Natur hervorgehen, schafft ihr ihnen künstliche, die nicht in derselben ihre Wurzel haben. Ihr werdet mir dagegen einwenden, daß ich in den Fehler jener schlechten Väter verfalle, welchen ich den Vorwurf machte, daß sie das Glück der Kinder der Rücksicht auf eine ferne Zukunft, welche vielleicht nie eintreten wird, opferten.
    Allein mit Unrecht, denn die Freiheit, die ich meinem Zöglinge einräume, entschädigt ihn reichlich für die leichtenUnbequemlichkeiten, denen ich ihn bloßgestellt lasse. Ich sehe kleine Jungen im Schnee spielen, förmlich dunkelroth, vor Kälte erstarrt und kaum im Stande, die Finger zu bewegen. Sie brauchen nur hineinzugehen und sich zu wärmen, aber sie thun es nicht. Zwänge man sie dazu, würden sie die Strenge des Zwanges hundertmal härter als die der Kälte empfinden. Worüber beklagt ihr euch also? Werde ich etwa euer Kind elend machen, indem ich es nur solchen Unannehmlichkeiten aussetze, welche es gern leiden will? Dadurch, daß ich ihm die Freiheit lasse, gründe ich sein Glück nicht nur für die Gegenwart, sondern befestige es auch für die Zukunft, indem ich es gegen die Uebel waffne, welche es ertragen muß. Wenn ihm die Wahl frei stände, mein oder euer Zögling zu sein, meint ihr wol, daß es einen Augenblick schwanken würde?
    Glaubt ihr, daß irgend ein Wesen außerhalb den seiner Natur entsprechenden Verhältnissen wahrhaft glücklich sein kann? Und heißt es nicht den Menschen diesen seinen Verhältnissen entfremden, wenn man alle Uebel seines Geschlechtes gleichmäßig von ihm fern halten will? Ja, ich behaupte geradezu, er muß, um die großen Güter würdigen und genießen zu können, vorher die kleinen Uebel kennen lernen; das liegt in seiner Natur begründet. Wenn es uns in physischer Beziehung zu wohl geht, werden wir in sittlicher Beziehung rückwärts schreiten. Ein Mensch, den nie ein Schmerz berührt hätte, würde weder die Regung der Menschenliebe, noch die Wonne des Mitgefühls kennen; sein Herz würde gegen alle Eindrücke unempfindlich sein; ein Feind aller Geselligkeit, wäre er ein Ungeheuer unter seines Gleichen. Wißt ihr, welches das sicherste Mittel ist, euer Kind unglücklich zu machen? Daß ihr es daran gewöhnt, Alles zu erlangen; denn seine Wünsche werden in Folge der Leichtigkeit ihrer Befriedigung unaufhörlich wachsen, und deshalb wird euch wider euren Willen euer Unvermögen früher oder später zwingen, seinen Bitten eine Weigerung entgegenzusetzen; und diese

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