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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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jedoch sagte, daß ich durch Jähzorn und Hitze Alles verderben würde, schlug ich einen anderen Weg ein. Ich stand ohne ein Wort zu sagen auf, suchte den Feuerstahl und fand ihn nicht. Ich frage meinen Zögling danach und er gibt ihn mir mit unverkennbarer Freude, endlich über mich triumphirt zu haben. Ich schlage Feuer, zünde das Licht an, nehme den kleinen Trotzkopf an der Hand und führe ihn ruhig in eine Nebenkammer, deren Fensterladen fest verschlossen waren und in welcher sich keine zerbrechlichen Gegenstände befanden. Hier lasse ich ihn ohne Licht, verschließe die Thüre und gehe, ohne ihmein einziges Wort zu sagen, wieder zu Bett. Man braucht nicht erst zu fragen, ob ein tüchtiger Lärm losbrach; darauf hatte ich mich gefaßt gemacht und ließ mich deshalb auch dadurch nicht aus meiner Ruhe bringen. Endlich legt sich der Lärm; ich lausche und höre, wie er sich in das Unvermeidliche findet. Das gibt auch mir meine volle Ruhe wieder. Am andern Morgen trete ich schon bei Tagesanbruch in seine Kammer ein und finde meinen kleinen Eigensinn auf einem Ruhebette liegend in tiefsten Schlummer versenkt, der für ihn nach den aufregenden Anstrengungen gewiß ein großes Bedürfniß war.
    Damit war die Sache freilich noch nicht abgethan. Die Mutter erfuhr, daß ihr Kind zwei Drittel der Nacht außer seinem Bette zugebracht hätte. Nun war Alles verloren; in ihren Augen war das Kind schon so gut wie todt. Da diesem die Gelegenheit günstig schien, sich zu rächen, so stellte es sich krank, ohne vorauszusehen, daß es dabei nichts gewinnen würde. Der Arzt wurde gerufen. Zum Unglück für die Mutter war derselbe ein loser Schelm, der, um mit ihrer Angst seinen Scherz zu treiben, Alles aufbot, sie zu vermehren. Mir flüsterte er jedoch ins Ohr: »Lassen Sie mich nur machen; ich verspreche Ihnen, daß das Kind auf lange Zeit von seiner Lust den Kranken zu spielen geheilt werden soll.« In der That wurde nun eine strenge Diät und sorgfältiges Hüten des Zimmers angeordnet und dem Apotheker ein reicher Verdienst zugewendet. Mit Seufzen sah ich, wie diese arme Mutter, mich allein ausgenommen, von ihrer ganzen Umgebung getäuscht wurde, und wie sie mich gerade um deswillen mit ihrem Hasse verfolgte, weil ich mich nicht dazu verstehen konnte, sie zu betrügen.
    Nach ziemlich harten Vorwürfen erklärte sie mir, ihr Sohn wäre schwächlich und der einzige Erbe seiner Familie; man müßte ihn um jeden Preis zu erhalten suchen und es wäre deshalb ihr Wille, daß man ihm nicht entgegenträte. Darin war ich mit ihr nun völlig einverstanden, allein sie meinte unter dem »nicht entgegentreten«, daß man sich ihm in allen Beziehungen fügen sollte. Ich sah ein, daß ich gegen die Mutter denselben Ton wie gegenden Sohn anschlagen müßte. »Gnädige Frau,« sagte ich ziemlich kalt zu ihr, »ich verstehe mich nicht auf die Erziehung eines Erben, und was noch mehr ist, ich will es auch nicht lernen. Treffen Sie also danach Ihre Einrichtungen!« Man bedurfte meiner noch einige Zeit, der Vater schlug sich ins Mittel, die Mutter schrieb an den Lehrer, er möchte seine Rückkehr beschleunigen, und das Kind faßte, da es zur Einsicht gekommen war, daß ihm weder die Störung meines Schlafes noch seine simulirte Krankheit einen Vortheil brächte, endlich den Entschluß, selbst zu schlafen und wieder gesund zu werden.
    Man kann sich nicht vorstellen, mit wie vielen ähnlichen wunderlichen Einfällen der kleine Tyrann seinen unglücklichen Erzieher gequält und sich endlich völlig unterworfen hatte, denn die Erziehung geschah unter den Augen der Mutter, die eine Auflehnung gegen den Willen des Erben nicht gestattete. In welcher Stunde er auch immer auszugehen wünschte, stets mußte sein Erzieher bereit sein, ihn zu führen, oder vielmehr ihm zu folgen, und mit großer Umsicht wählte er regelmäßig den Augenblick, wo er diesen am meisten beschäftigt sah. Er wollte sich nun dieselbe Herrschaft über mich anmaßen und sich am Tage für die Ruhe rächen, welche er mir gezwungener Weise des Nachts gewähren mußte. Ich gab mich gutmüthig zu Allem her, und lieferte ihm zunächst den augenscheinlichen Beweis, welche Freude es mir bereitete, mich ihm gefällig erweisen zu können; als aber nachher die Frage, ihn von seinen Grillen zu heilen, an mich herantrat, schlug ich ganz andere Wege ein.
    Zunächst mußte ich ihm sein Unrecht fühlbar machen, und das ließ sich unschwer erreichen. Da ich aus Erfahrung wußte, daß die Kinder stets

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