Emilia - Herzbeben
Walt überrascht.
Anna zuckte mit den Schultern. »Er wollte es mir nicht sagen. Er meinte nur, dass wir sie bald nicht mehr verbergen können würden, weil sie jetzt langsam erwachsen wird. Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet. Wir können ja nicht offen darüber reden. Jeder Gedanke kann ein Gedanke zu viel sein.«
Walt seufzte. »Wenn wir sie bald nicht mehr vor ihnen verstecken können«, sagte er, »können wir sie auch nicht mehr vor sich selbst verstecken, Anna. Wir müssen ihr die Wahrheit sagen.«
Jetzt drehte sich Anna zu ihm um und sah ihn mit einem versteinerten, kühlen Gesichtsausdruck an. »Wir halten uns an den Plan. Du erwähnst kein Wort! Kein Wort, Paps!« Dann ging sie die Stufen hinauf, die zurück ins Haus führten. Bevor sie jedoch die Tür hinter sich schloss, sagte sie noch: »Mach bitte das Bett fertig.Du weißt für wen.«
Walt wischte sich seufzend über das Gesicht und warf einen Blick in die Ecke des Kellers, in der das Bett stand. Das Bettgestell war fertig aufgebaut, nur die Matratze stand noch daneben an der Wand. Auch das Nachtschränkchen stand schon da. Anna hatte einen kleinen Brief darauf gelegt, in dem sie sich bedankte. Die Worte klangen, als würde sie das oft tun. Walt konnte sie verstehen. Es beruhigte sie, dass da jemand war, der immer in Mias Nähe war und auf sie aufpasste. Doch Walt gefiel der Gedanke trotzdem nicht, dass von nun an ein nichtmenschliches Wesen in seinem Keller schlafen würde. Auch, wenn es zu ihrem Schutz hier war. Er legte die Matratze auf das Lattenrost, bezog die Bettdecke und das Kissen mit frischer Wäsche und legte alles bereit auf das Bett. Dann zündete er noch die Kerze auf dem Nachtschrank an und zog das kleine Fenster hinter den Weinregalen auf, um einen kurzen Blick hinaus zu werfen. Aber er sah ihn nicht. Da war nichts als Dunkelheit. Schließlich ging er wieder hinauf, um selbst ins Bett zu gehen. Doch er schlief lange nicht ein. Es quälte ihn, dass Mia so völlig im Dunkeln tappte und sie nicht einmal wusste, warum sie überhaupt hier war. Und es quälte ihn noch mehr, dass er ihr kein Wort sagen durfte. Er hatte das Gefühl, dass es wichtig war ihr die Wahrheit zu sagen. Nachdem, was ihm Anna erzählt hatte, waren ihm zwei Dinge mehr als klar. Zum Einen würden sie diese ganze Fassade nicht mehr lange aufrecht erhalten können. Mia war in ihrer Geburtsstadt. Und sie war nicht dumm. Er gab ihr höchstens zwei Wochen und dann war das Geheimnis gelüftet. Und zum Anderen ließ ihn das Gefühl nicht los, dass es hier bald sehr ungemütlich werden würde. Er wusste zwar nicht, was René für einen Plan verfolgte, aber wenn sie Mia spürten, dann dauerte es nicht mehr lange und sie würden in diese Stadt einmarschieren, um sie zu suchen. So, wie damals.
Ramon blickte immer noch den Mond an. Als er aber hörte, wie Anna die Haustür öffnete und auf die Veranda trat, wandte er sich um und sah sie an. Sie war schön wie eh und je. Ihr blondes Haar bewegte sich in der kühlen Nachtluft wie goldene Seide undstreichelte ihr vor Schmerz und Sorge verzerrtes Gesicht. Ihr rollte eine Träne über die Wange, die sie sich jedoch schnell weg wischte. Dann holte sie tief Luft und blickte in die Ferne. Sie suchte ihn. Doch er durfte sich ihr nicht zeigen. Das durfte er nie. Sein Gesicht würde all ihre Erinnerungen zurückholen, die sie so tapfer unter Verschluss hielt.
»Danke«, hauchte sie in die Nacht. »Ich danke dir.«
Er lächelte. Und am liebsten wäre er vom Baum hinunter gesprungen, um ihr zu sagen, wie gern er das für sie tat. Dass es eine Ehre für ihn war, sie und ihre Familie zu beschützen. Und dass es ihn erfüllte, immer ihre Tochter im Auge zu behalten. Für sie da zu sein, selbst, wenn sie nie etwas davon mitbekam. Er hörte sich ihre Sorgen und Ängste an, wenn sie glaubte allein in ihrem Zimmer zu sein und teilte das Leid mit ihr und den Schmerz in ihrem Leben. Manchmal kam er in ihr Zimmer und deckte sie zu oder beobachtete ihr friedliches Gesicht, wenn sie schlief. Und manchmal stand er direkt hinter ihr, wenn sie das Gefühl hatte von der ganzen Welt verlassen zu sein. Heimlich. Unbemerkt. So, wie immer. Er würde nie ein richtiger Teil dieser Familie sein. Das wusste er. Aber das war in Ordnung für ihn. Es erfüllte ihn mit tiefem Stolz diese Familie im Verborgenen zu schützen. Für immer.
»Dein Bett ist gemacht«, hauchte sie so leise in die Nacht, dass es nur er hören konnte.
Er lachte leise und wartete, bis
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