Emilia - Herzbeben
jemand wichtiger war oder mehr Aufmerksamkeit erregte, als sie. Und im Moment war Mia, obwohl sie ihr offensichtlich nicht das Wasser reichen konnte, eine Gefahr für sie. Sie war die Enkelin des Schulleiters. Sie hätte sich auch denken können, dass das Schwierigkeiten mit sich bringen würde.
»Damit eins schon mal klargestellt ist«, sagte sie warnend und kam einen Schritt näher auf sie zu. »Das wäre ziemlich ungesund für dich.«
Mia biss die Zähne zusammen. Atme , sagte sie wieder zu sich und hatte wieder die Stimme ihres Vaters im Kopf. Er hatte ihr stets innere Ruhe beibringen wollen, egal, in welcher Situation man steckte. Das war ihm immer sehr wichtig gewesen. Nicht erst, seit sie diesem Mädchen vor drei Jahren fast den Arm gebrochen hatte, weil sie sie zur Weißglut getrieben hatte. Und auch nichterst, seit dieser Junge in der Grundschule ihretwegen einen Asthmaanfall bekommen hatte und fast erstickt war. Nein, er brachte ihr diese Dinge schon bei, seit sie denken konnte und oft halfen sie ihr auch ruhig zu bleiben. Nur in letzter Zeit hatte sie das Gefühl mehr und mehr die Kontrolle über ihre Wut zu verlieren. Die Hitze, die dann in ihr aufstieg, war manchmal kaum noch zu ertragen. Sie atmete tief ein und langsam wieder aus.
»Kapiert, Neuling?«
Oh, das war sanft. Neuling. Das klang ja fast nett. Sie wartete ab, ob noch etwas Fieseres kam und vergaß dabei zu nicken, um sie zufriedenzustellen. Und das machte sie wütend.
»Ich hab dich was gefragt! Oder bist du nicht nur hässlich, sondern auch taub?«
Auch das kannte sie schon. Mittlerweile hatte sie wohl alle Beleidigungen schon einmal gehört, was gut war, denn dann konnten sie sie nicht mehr so sehr verletzen. Außerdem wusste sie, dass sie nicht gerade eine Schönheit war. Es war also nicht einmal eine Beleidigung, sondern eine Feststellung. Plötzlich hörte Mia ein Raunen in der Menge, dass ihre Konzentration auf ihren Atem ablenkte. Es wurde zunehmend lauter. Dann sah sie, wie sich hinter dem Mädchen die Menge teilte. Mia blickte über ihre Schulter, wodurch ihr Pony zurückfiel, da sie viel kleiner als sie war und das Mädchen nun zum ersten Mal ihre Augen bemerkte. Sie wich verdutzt mit dem Kopf zurück, doch sie kam nicht dazu einen fiesen Kommentar abzugeben, denn jemand rief ihren Namen. Jemand hinter ihr, der eine Gruppe Jugendlicher anführte, die wie eine Armee durch die Menge schritt. Ein Junge. Ziemlich groß und selbstbewusst. Er war ganz weiß gekleidet. Ein weißes Hemd, weiße Jeans, weiße Turnschuhe. Nur sein schwarzes Armband bildete einen Kontrast zu seiner weißen Kleidung. Manche der Jugendlichen hinter ihm waren ebenfalls ganz weiß gekleidet. Darunter ein Mädchen, das Mia fixierte und sie freundlich anlächelte, woraufhin Mia erschrak und sofort wieder den Frontmann der Gruppe ansah.
»Mach dich dünn, Chanti«, sagte er zu dem fiesen Mädchen. Und sie wich ihm tatsächlich sofort aus. Die Traube, die sich um Mia herum gebildet hatte, wurde immer dichter. Doch es tratenauch alle ein paar Schritte zurück, als der Junge den leeren Kreis betrat, der Mia umgab. Es war, als hätten sie alle großen Respekt vor dem Jungen. Als er dann an Mia heran trat, lächelte er und hielt ihr die Hand hin. »Mike«, sagte er kurz.
Mia sah erst seine Hand an und hob dann vorsichtig und skeptisch den Blick. Er lächelte freundlich. Und, was sie am meisten überraschte, er erschrak nicht. Kein bisschen. Er guckte nicht einmal verdutzt oder überrascht, so wie das Mädchen vor ihm und so, wie Mia es kannte und gewöhnt war. Er sah sie einfach nur freundlich an und hob irgendwann auffordernd die Augenbrauen. Mia ergriff daraufhin zögerlich seine Hand und schüttelte sie sanft. Und dann stellte er sich plötzlich neben sie, legte einen Arm um ihre Schultern, drückte sie an sich und marschierte mit ihr aus der Menge heraus. Und sie machten ihm alle Platz. Die Jugendlichen, mit denen er gekommen war, folgten ihm wieder und als sie weit genug von der Menschentraube entfernt waren, lachten sie alle.
»Cooler Auftritt, Mike!«, sagte jemand hinter ihm.
Mike lachte ebenfalls und sah grinsend auf Mia herab. »Keine Angst, Süße. Wir passen auf dich auf.«
Mia wurde rot. Hatte er sie gerade Süße genannt?
»Das ist Nadja«, sagte er, als sie das Gebäude betraten. Sofort tänzelte das Mädchen, das sie vorher angelächelt hatte, nach vorn und reichte Mia die Hand. Dann drehte sich Mike mit Mia unterm Arm um und deutete auf die
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