Emilia - Herzbeben
nicht hören konnte? Er ? Normalerweise schienen ihre Gedanken doch sehr deutlich hörbar zu sein. Ramon las sie ständig. Und diese beiden Vampire auch. Warum konnte er es nicht? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich irgendwie verschlossen hatte. Im Gegenteil. Sie hatte sich doch gerade erst so richtig geöffnet. Sie hob ratlos die Schultern. »Ich … weiß nicht«, sagte sie vorsichtig.
»Zweitens«, sagte er dann, ohne auf ihre Worte zu reagieren. Sein Gesicht versteinerte plötzlich und wurde eiskalt. »Wo«, sprach er und sie glaubte in seiner Stimme ein leises Knurren zu hören, »ist dein Vater?«
Ihr wurde auf einmal eiskalt. Sie erinnerte sich sofort an die Geschichte, die Ramon ihr erzählt hatte. Die Geschichte, die sich vor 16 Jahren in ihrer Geburtsstadt abgespielt hatte. Rece war in diese Stadt gekommen, um ihre Mutter zu töten, weil sie, so glaubten sie, herausgefunden hatte, wie man Vampire töten konnte. Doch er hatte sich in sie verliebt und damit Hochverrat an seinem Bruder Angor begangen, als er sie am Leben ließ und versuchte sie vor ihm zu beschützen. Angor hatte ihn daraufhin getötet, oder zumindest glaubte er, dass er ihn getötet hatte. Er wusste nicht, dass er es geschafft hatte zurückzukommen. Zwar mit viel weniger Macht als zuvor, aber dennoch als er selbst. Er durfte nicht erfahren, dass ihr Vater noch lebte. Er würde ihn jagen und vernichten. In dieser Gestalt hatte er doch gar keine Chance mehr gegen Angor. »Er ist tot«, sagte sie eiskalt, ohne eine Miene dabei zu verziehen. »Genauso wie meine Mutter. Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Ich bin bei Pflegeeltern aufgewachsen.«
Auf einmal fing Angor so herzlich an zu lachen, dass die Schönheit seines vor Amüsement verzogenen Gesichtes ihr kurz den Atem nahm. »Du«, lachte er, »bist eine ausgezeichnete Lügnerin, Mia! Das gefällt mir.« Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er etwas ernster: »Das hast du von deinem Vater. Er war ausgezeichnet darin zu blenden. Sogar bei mir hat er es geschafft.«
Mia biss die Zähne zusammen. Auch sie hatte er ihr ganzes Leben lang belogen.
»Nun«, sagte er jetzt, »damit ist auch meine dritte Frage beantwortet, wo sich deine Mutter aufhält. Sie verstecken sich also. Sie lassen ihre Tochter fangen und haben nicht den Mut, sich mir entgegen zu stellen, um ihr einziges Kind zu beschützen. Das ist jammerschade, nicht wahr?«
Mia spürte einen Stich in ihrem Herzen. Auf einmal fühlte sie sich tatsächlich allein gelassen. Einerseits wusste sie, dass sie sowieso keine Chance gehabt hätten, wenn sie sich ihm entgegen gestellt hätten, aber andererseits war die Tatsache, dass sie einfach nicht da waren und ihr Vater eher einen Selbstmord vorzog, um sie zu schützen, als bei ihr zu sein, viel zu schmerzhaft, um sie zu ignorieren. Sie war allein. Niemand war bei ihr. Ihre Eltern nicht und Ramon auch nicht. Sie hatte ihn davon gejagt, um ihren Vater davon abzuhalten, sie zu verlassen. Sie war zwar froh, dass sie nicht da waren, da Angor sie vermutlich sonst auf der Stelle umgebracht hätte, aber sie wünschte sich dennoch, dass irgendjemand bei ihr war. Irgendjemand. »Sie … sind tot«, sagte Mia etwas kraftloser als zuvor. »Sie können nicht hier sein, um mich zu beschützen.«
Angor betrachtete sie ungeduldig, drehte sich dann auf einmal um und ging leichtfüßig auf eine Tür zu. »Komm mit«, sagte er. »Wir wollen nicht die ganze Zeit in der Halle stehen. Im Salon ist es gemütlicher.«
Mia ging ihm zögerlich und irritiert über seine überraschend positive und menschliche Umgangsform nach. Jedoch spürte sie mit jedem Schritt erneut das Schwächegefühl, das sich wie zuvor in ihren Beinen bemerkbar machte. Sie fühlten sich wie Gummi an und knickten ihr manchmal weg. Sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen und ging etwas schneller, doch sie musste sich dabei so stark konzentrieren, dass sie seinen Worten kaum folgen konnte.
»Deine Eltern, die du so tapfer zu verteidigen versuchst, sind nicht so perfekt, wie du glaubst, Mia«, tönte er. »Sie sind Verräter. Deine ganze Familie besteht aus Verrätern. Angefangen bei deiner Großmutter, Emilia.«
Als dieser Name fiel, horchte sie auf. Er öffnete ihr die Tür in einen Raum, in dem äußert bequem anmutende Sofas um einigeTische angereiht waren. Es gab eine Bar, einige Bücherregale, einen großen Globus und einen gewaltigen Kamin, der plötzlich wie von selbst
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