Emilia - Herzbeben
irgendjemand griff nach ihrem Arm, hob sie hoch und trug sie vom Geschehen fort. Sie konnte nichts sehen. Es ging zu schnell. Sie drehte sich nur einmal in der Luft und stand plötzlich mehrere Meter weiter vom Bus entfernt auf dem Bürgersteig. Sie sah, wie sich ein Mann von ihr entfernte und zumBus marschierte. Er war groß und muskulös. Das konnte sie selbst von hinten und durch seine Lederjacke hindurch sehen. Hatte er sie aus dem Bus gezogen?
Nadja lag auf dem Gehweg und der Bus kippte direkt auf sie zu. Schreie. Überall waren Schreie zu hören und hupende Autos. Auf einmal streckte Nadja aber die Hände aus und dann, als habe sie den Bus aufgehalten, blieb er plötzlich in der Luft hängen. Direkt über ihr. Schultaschen und Glassplitter fielen ihr entgegen und weitere Schüler fielen aus den Türen heraus. Nadja schrie. Ihr Gesicht war verzerrt, als stünde sie unter einer enormen Belastung. »Jan!«, rief sie. »Hilf mir!«
In dem Moment griff der fremde Mann in der Lederjacke mit einer Hand in eine der geöffneten Bustüren und hob den Bus an, als sei er ein kleines Spielzeug. Mia traute ihren Augen nicht! Er gab ihm einen kräftigen Schubs und stellte ihn damit wieder auf die Reifen. Dann ließ er seine Hände in die Hosentaschen sinken und verschwand in einer Seitenstraße. Sie hatte nicht einmal sein Gesicht gesehen. Nur seinen Hinterkopf, sein dunkles, gewelltes Haar und das unglaublich breite Kreuz. Als er weg war, lief Mia sofort zu Nadja und half ihr aufzustehen.
»Alles okay?«, fragte Mia.
Nadja richtete sich auf und fasste sich an den Kopf. Ihre Arme waren voller kleiner Schnitte von den Glassplittern. »Ja«, sagte sie. »Alles in Ordnung. Was ist mit dir?«
»Alles gut«, sagte Mia. »Jemand hat mich rausgezogen.«
Nadja machte große Augen und sah sich um. »Was? Wer?«
»Der Mann, der …« Mia stockte. Sollte sie ihr sagen, dass da gerade eine Art Superman gewesen war, der den Bus wieder aufgerichtet hatte? Das klang verrückt! Völlig hirnverbrannt. Aber hatte Nadja nicht etwas Ähnliches getan? Hatte sie nicht das Kippen des Busses mit ihren Händen aufgehalten? Oder hatte sie sich auch das eingebildet? Denn genau das hatte sie gesehen! Mia sah noch einmal den Weg entlang, der sich jetzt mit Menschen füllte. Der Mann war weg. Und im nächsten Moment hörten sie schon die Sirenen, die sich dem Unfallort näherten. Die meisten Passanten kamen ihnen allen zur Hilfe. Auch zu Mia und Nadja kamen Leute, die sie fragten, ob sie in Ordnung waren. Jan undLara knieten sich neben Nadja und Mia hörte, wie Jan leise sagte: »Tut mir leid, ich habe nicht auf den Verkehr geachtet.«
»Pscht«, machte Nadja leise.
Mia sah sie verständnislos an. Dann hob sie den Blick und betrachtete den LKW durch die Öffnungen des Busses, in denen vorher die Scheiben gesteckt hatten. War der LKW in den Bus hineingefahren, weil er so abrupt angehalten hatte, oder hatte der Bus angehalten, weil ein LKW auf ihn zugerast war? Mia sah Jan an und fragte ihn, ob er gesehen hatte, wie das passiert war. Doch keiner von ihnen antwortete ihr. Sie zuckten nicht einmal ratlos mit den Schultern, um so zu tun, als wüssten sie es selbst nicht. Sie sahen sich nur kurz an und wichen Mias Blicken aus. Und als dann der Krankenwagen kam und sich die Sanitäter um Nadja kümmerten, gab es wichtigere Dinge, als auf Mias Frage zu antworten. Sie brachten sie ins Krankenhaus. Und Mia, Jan und Lara nahmen sie gleich mit.
8
Das Wetter hatte sich wieder beruhigt. Es war nicht so ausgebrochen, wie die Male zuvor. Die Sonne schien wieder und tauchte den Raum, in dem Nadja behandelt wurde, in ein leuchtendes Gelb. Jan und Lara saßen mit Mia im Gang und beobachteten den Polizisten, der einige Patienten befragte.
»Warum fragt er nicht den LKW-Fahrer aus?«, fragte Lara irgendwann.
»Er nimmt Zeugenaussagen auf«, erklärte Jan ihr. »Der LKWFahrer wird sicher auch schon vernommen.«
Es war Einiges los auf dem Gang. Viele Menschen liefen auf und ab. Mehrere Polizisten waren hier und Ärzte und Schwestern gingen von Raum zu Raum. Als neben ihnen zwei Schwestern aus einem Zimmer kamen, hörten sie, wie sie sich unterhielten.
»Es ist doch ein Wunder, dass nur eine Schülerin verletzt wurde! Keinem der Kinder in dem Bus ist etwas passiert.«
Mia stutzte. Es war niemand verletzt worden? Bei einem solchen Unfall und bei so viel zersplittertem Glas? Sie sah Jan überrascht an, der ihrem Blick erneut auswich.
»Es müssen P-Schüler im Bus
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