Emilia - Herzbeben
Fenster und bestellten die größten Eisbecher, die sie je gegessen hatten. Es war fast so, als sei dies das letzte Mal, dass sie in ihrem Leben Eis essen konnten. Sie genossen jeden Löffel mit so viel Inbrunst, dass sie manchmal darüber lachten und gackerten wie kleine Kinder. Es war so ein schöner, ausgelassener und sorgloser Moment, dass Mia gar nicht wollte, dass er je aufhörte. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken, dass sie gejagt wurde, dass es Schatten und Vampire gab, dass ihre Familie verschwunden war und sie bald eine Reise antreten würde, von der sie nicht wusste, wie sie enden würde. Doch all diese Gedanken kamen zurück, als Emma anmerkte, dass sie überhaupt nicht verstehen könne, dass Mia nicht in jeder Stadt, in der sie bisher gelebt hatte, mindestens hundert Freude hatte. Schließlich sei sie so nett, geheimnisvoll, interessant und faszinierend.
Mia wusste nicht, ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte. Ihrkam in Erinnerung zurück, dass sie schon immer eine Außenseiterin gewesen war und sie diese Tatsache vermutlich ihrer teuflischen Seele zu verdanken hatte, was ihr trotz der Schmeicheleien diesen kleinen, glücklichen Moment völlig zerstörte.
Emma sah ihrem Gesicht an, dass sie nicht erfreut über diese Anmerkung war und entschuldigte sich. »Ich … ich wollte dir nur sagen, wie ich das sehe. Ich finde dich einfach toll und verstehe nicht, dass …«
»Ist schon gut«, sagte Mia und stocherte in ihrem Eis herum. »Das … liegt einfach daran, dass … Ich sehe manchmal einfach zu erschreckend aus. Das macht den Menschen Angst. Aber das ist schon okay. Ich kann damit umgehen.« Und sie konnte lügen wie gedruckt. Denn manchmal zerriss es ihr auch das Herz, wenn sich Menschen von ihr fern hielten, die sie mochte. Das war bisher zwar noch nicht oft vorgekommen, aber die wenigen Male hatten ihr so sehr weh getan, dass sie von da an ihr Herz für alle Zeiten verschlossen hatte. Eigentlich hatte sie vorgehabt auch in diesem Schuljahr mit einem kalten Eisblock anstelle ihres Herzens durch ihr Leben zu gehen, aber bei diesem Plan war ihr Großvater ihr in die Quere gekommen. Mit seinen übersinnlichen Schülern, die sie beschützen sollten, hatte er ihr ganzes Leben durcheinander gebracht. Denn jetzt gab es viele Menschen in ihrem Leben, die sie mochte.
»Nein, Mia«, sagte Nadja auf einmal und lehnte sich etwas über den Tisch zu ihr vor. »Du siehst überhaupt nicht erschreckend aus«, sagte sie, wobei Emma wild mit dem Kopf schüttelte. »Die Menschen könnten über dein Aussehen höchstens überrascht oder fasziniert sein. Aber das ist es nicht, was ihnen Angst macht.«
Mia blickte ihr erwartungsvoll ins Gesicht, doch sie zögerte einen Moment, als suche sie nach den richtigen Worten.
»Es ist mehr eine Art … Schwingung, die manchmal von dir ausgeht. Besonders, wenn du aufgebracht bist, spürt man es sehr deutlich.«
Mia sah sie verständnislos an. »Eine Schwingung?« Was sollte das bedeuten?
»Ja, du kennst das doch bestimmt auch«, versuchte Nadja zuerklären, »wenn man in einen Raum kommt und es herrscht total die miese Stimmung, dann spürt man das doch sofort. So ähnlich ist es.«
Vermutlich hatte sie sie damit aufbauen wollen. Doch der Schuss war nach hinten losgegangen. Und zwar gewaltig. Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihr Aussehen diese Art von Reaktion bei den Menschen auslöste, denn dagegen konnte sie etwas tun. Sie konnte den Kopf senken und es vermeiden die Menschen anzusehen, damit sie sich nicht schlecht fühlten. Doch was sollte sie gegen eine Schwingung tun, die den Menschen Angst einjagte? Der Tag war, so schön die Shoppingtour mit Nadja und Emma auch gewesen war, für sie gelaufen. Ramon fuhr mit ihr nach Hause und sprach sie auch nicht darauf an, dass sie während der Fahrt keinen Ton sagte. Er ließ sie in Ruhe, trug die Taschen ins Haus und kam auch nicht in ihr Zimmer, als sie sich für den Rest des Tages darin einschloss. Er klopfte nur ein einziges Mal an ihre Tür. Spät am Abend. Und zwar nur deswegen, weil er den ganzen Nachmittag versucht hatte etwas zu Essen für sie zu machen, die Küche aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen und das Ergebnis eine klägliche Menge Nudeln war, die er nun auf einem Teller zu ihr trug.
»Sie ertrinken gerade in einer Suppe aus Öl und zermatschten Tomaten«, teilte er ihr mit und betrachtete fragwürdig den Teller. »Ich weiß nicht, ob das genießbar ist, aber …«
»Komm rein«, hörte er
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