Emily, allein
zurückzuhalten. Über Louise hatte sie nie so einen Traum gehabt, nur den, wo sie sich in dem Museum zu zweit die endlosen Glasvitrinen mit ausgestopften Vögeln ansahen, alles lautlos, eine Szene aus einem der Filme von Louises Lieblingsregisseur Bergman. Sie hätte gern erfahren, was Louise davon gehalten hätte.
Als der Arzt hereinkam, versuchte sie zu lächeln, wie um mutig zu wirken. Er entschuldigte sich für die lange Wartezeit. Er schien nicht überrascht zu sein, sie zu sehen, und rollte seinen Hocker heran. Unter seinem Laborkittel trug er eine gestreifte Krawatte mit perfektem Windsorknoten. «Gut, dann will ich Sie mir mal ansehen.» Er knipste seine Stiftlampe an und blickte ihr in den Mund. «Ein bisschen weiter, danke. Meine Güte, ja. Kein Wunder, dass wir beim Schlucken Probleme haben. Der Hals ist auf beiden Seiten gerötet.»
«Sie meinen, es ist eine Halsentzündung?»
«Es ist ein Virus im Umlauf.» Er tastete ihre Lymphknoten ab und drehte ihren Kopf nach rechts und nach links. «Wir müssen sehen, was der Abstrich ergibt, aber es würde mich sehr überraschen, wenn es etwas anderes wäre.»
Er stand auf und wärmte die Scheibe des Stethoskops zwischen seinen Handflächen, bevor er Emily aufforderte, sich vorzubeugen und tief einzuatmen. Während er das Stethoskop immer wieder auf ihren Rücken setzte - «Noch mal», sagte er -, staunte sie, wie ungewohnt es inzwischen war, von jemand anderem angefasst zu werden.
Mitten beim Abhören klopfte es an der Tür. Der Arzt zog Emilys Kittel zu und rief dann: «Ja bitte?»
Es war Mary, die ihm einen Ausdruck brachte. Die Untersuchung hatte Kenneths Vermutung bestätigt - es war eine Halsentzündung.
Der Arzt war auch wegen ihres Gewichts besorgt. Sie müsse zunehmen, nicht abnehmen. «Erzählen Sie mir, was Sie gestern gegessen haben.»
Sie fühlte sich zu elend, um sich zu verteidigen, und erzählte ihm im Wesentlichen die Wahrheit. Wie sollte sie es erklären? Der Kühlschrank war voller Reste, sie hatte bloß keinen Hunger.
Er schüttelte den Kopf, als sei das inakzeptabel. «Sie müssen sich mehr Mühe geben - Ihnen selbst und mir als Ihrem Arzt zuliebe. Sie können mir die Arbeit erleichtern oder erschweren, das liegt ganz bei Ihnen.»
Er verschrieb ihr ein Antibiotikum und ein Nasenspray für die Nebenhöhlen. Er wollte auch, dass sie ihre Nahrung mit Ensure ergänzte, und beauftragte Mary, ihr eine Probedose zu geben, die Emily beschämt durchs Wartezimmer trug.
«Ich hab davon noch was zu Hause, wenn du es haben willst», sagte Arlene im Wagen. «Ist eigentlich nicht so schlecht.»
«Das ist Futter für alte Leute.»
«Wir sind alte Leute.»
«Mir gefällt nicht, dass es den Eindruck erweckt, ich könnte nicht mehr für mich selbst sorgen.»
«Du bist unausstehlich, wenn du krank bist», sagte Arlene, «weißt du das?»
«Ich weiß. Tut mir leid. Du meinst es ja nur gut.»
«Ich überkompensiere, das ist alles», erwiderte Arlene spöttisch.
«Ich auch», sagte Emily, «bloß auf die entgegengesetzte Weise.»
«Wahrscheinlich gesünder für dich.»
«Das bezweifle ich.» Und da das die Wahrheit war, ließen sie es dabei bewenden.
Sie fuhren beim Rite-Aid in der Highland Avenue vorbei und gaben Emilys Rezept ab. Auf der anderen Seite standen die Kunden an der Wand aufgereiht oder saßen auf den Blutdruckstühlen. Der Apotheker sagte, es könne eine Weile dauern, deshalb fuhr Arlene sie nach Hause und brachte sie ins Bett. Als Emily ein paar Stunden später wieder aufwachte, lag auf ihrem Nachttisch eine kleine weiße Tüte mit ihren Pillen, von der festgehefteten Quittung verschlossen. Emily musste die Brille aufsetzen, um zu sehen, wie teuer das Ganze war, wünschte sich danach aber, sie hätte darauf verzichtet.
NACH DEM ESSEN EINNEHMEN, riet das Etikett.
Arlene war schon viel weiter und brachte auf dem lackierten Rattantablett, mit dem die Kinder Henry am Vatertag immer das Frühstück im Bett serviert hatten, eine dampfende Schale Truthahnnudelsuppe. Als sie es vor Emily aufstellte, beugte sie sich vor, und Emily konnte ihre Narbe aus nächster Nähe sehen. Die neue Haut hatte die Farbe von Bubble Gum. Auf der Suppe schwammen Dutzende winzige gelbe Fettaugen, die wie sich paarende Amöben aussahen. Die Truthahnstücke waren zäh, die Möhren sahen aus wie blass orangefarbene Münzen.
«Hast du die gekocht?» Ihre Stimme war nur ein Flüstern.
«Die hab ich im Crockery besorgt, als ich unterwegs war. Ich weiß doch,
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