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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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wahr?«
    »Doch«, entgegnete er, »der Neffe deiner Mutter. Gefällt er dir nicht?«
    Das unhöfliche kleine Ding stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte Heathcliff etwas ins Ohr. Der lachte. Hareton wurde rot. Ich bemerkte, dass er sehr empfindlich war, wenn er Missachtung vermutete, und dass er augenscheinlich eine dunkle Ahnung von seiner Minderwertigkeit hatte. Aber sein Herr und Vormund verscheuchte die Wolke, indem er rief:
    »Du wirst der Günstling unter uns sein, Hareton! Sie sagt, du seist ein… was war es doch gleich? Jedenfalls etwas sehr Schmeichelhaftes. So, du gehst jetzt mit ihr durch das Gut. Und benimm dich wie ein vornehmer Herr, hörst du? Brauche keine schlechten Ausdrücke, und stiere die junge Dame nicht an, wenn sie wegguckt, und kehre dein Gesicht ab, wenn sie dich ansieht. Und wenn du sprichst, dann setze deine Worte hübsch langsam, und steck die Hände nicht in die Taschen. Nun geh, und unterhalte sie, so gut du kannst.«
    Er beobachtete durchs Fenster, wie das Paar fortging. Earnshaw hielt sein Gesicht ganz von seiner Begleiterin abgekehrt. Er schien die bekannte Landschaft mit dem Interesse eines Fremden und Künstlers zu betrachten. Catherine warf ihm einen verstohlenen Blick zu, der wenig Bewunderung ausdrückte. Dann machte sie sich daran, auf eigene Faust Unterhaltung zu suchen, trippelte lustig vorwärts und trällerte ein Liedchen vor sich hin, da kein Gespräch aufkommen wollte.
    »Ich habe seine Zunge gebunden«, bemerkte Heathcliff. »Er wird die ganze Zeit über keine Silbe zu sprechen wagen. Nelly, du erinnerst dich meiner in dem Alter, nein, als ich noch einige Jahre jünger war. Habe ich jemals so dumm dreingeblickt wie er?«
    »Schlimmer«, erwiderte ich, »weil Sie dabei noch mürrisch aussahen.«
    »Ich habe Freude an ihm«, fuhr er fort, in Gedanken verloren. »Er hat meine Erwartungen erfüllt. Wenn er von Geburt ein Narr wäre, würde ich mich nicht halb so sehr freuen. Aber er ist kein Narr, und ich kann ihm alle Gefühle nachempfinden, weil ich das gleiche durchgemacht habe. Ich weiss zum Beispiel genau, was er im Augenblick leidet, und doch ist es erst der Beginn dessen, was er noch leiden wird. Und er wird nie imstande sein, sich von diesen Fesseln der Unbildung und Unwissenheit zu befreien. Ich habe ihn fester am Gängelband, als sein Vater mich damals hatte, und halte ihn noch mehr nieder; denn er ist stolz auf seine Roheit. Ich habe ihn gelehrt, alles, was besonders gebildet ist, als albern und schwächlich zu verachten. Glaubst du nicht, Hindley wäre stolz auf seinen Sohn, wenn er ihn sehen könnte, fast so stolz, wie ich auf meinen bin? Aber da liegt der Unterschied: der eine ist Gold, das zu Pflastersteinen verwendet wird, der andere ist Zinn, das poliert wird, um ein silbernes Essgeschirr vorzutäuschen. Mein Sohn hat nichts Wertvolles aufzuweisen, doch habe ich das Verdienst, so viel aus ihm zu machen, wie es mit so kümmerlichen Mitteln möglich ist. Sein Sohn hatte die besten Anlagen, und sie sind verloren; das ist schlimmer, als wenn sie nie vorhanden gewesen wären. Ich habe mir nichts, Hindley hätte sich mehr vorzuwerfen, als irgend jemand ausser mir weiss. Und das beste ist, dass Hareton mich verdammt gern hat. Du musst zugeben, dass ich Hindley darin ausgestochen habe. Wenn der tote Halunke aus dem Grabe steigen könnte, um mich wegen des Unrechts an seinem Sprössling zur Rede zu stellen, so würde ich den Spaß erleben; dass besagter Sprössling sich gegen ihn wenden und ihn zurücktreiben würde, empört darüber, dass er dem einzigen Freund, den er auf der Welt besitzt, zu nahe tritt!«
    Bei dieser Vorstellung stiess Heathcliff ein teuflisches Lachen aus. Ich unterdrückte eine Entgegnung, da ich sah, dass er keine erwartete. Inzwischen begann sein junger Sohn unruhig zu werden. Er saß zu weit von uns entfernt, um zu hören, was wir sprachen. Wahrscheinlich bereute er es, dass er sich die Freude an Catherines Gesellschaft aus Angst vor etwas Ermüdung versagt hatte. Sein Vater bemerkte, wie seine Blicke unruhig zum Fenster wanderten und wie er seine Hand unentschlossen nach seiner Mütze ausstreckte.
    »Steh auf, fauler Junge!« rief er mit gespielter Herzlichkeit. »Geh ihnen nach, sie sind gerade an der Ecke bei den Bienenstöcken.«
    Linton nahm all seinen Mut zusammen und trat vom Feuer weg. Die Haustür war offen, und als er hinausging, hörte ich gerade, wie Cathy ihren unnahbaren Begleiter fragte, was denn die Inschrift über

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