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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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widerfahren ist, mit einem solchen Missgeschick, und seien Sie dankbar für die Freunde, die Sie haben, statt nach neuen zu begehren.«
    »Ich weine nicht um meinetwillen, Ellen«, antwortete sie, »ich weine um ihn. Er erwartet, mich morgen wiederzusehen, und nun wird er so enttäuscht sein und wird auf mich warten, und ich werde nicht kommen.«
    »Torheiten«, sagte ich, »bilden Sie sich ein, er hat so oft an Sie gedacht wie Sie an ihn? Er hat doch Hareton zur Gesellschaft. Wer wird denn gleich weinen, wenn er einen Verwandten verliert, den er nur an zwei Nachmittagen gesehen hat. Linton wird sich schon denken können, wie die Dinge liegen, und sich keine Gedanken mehr über Sie machen.«
    »Aber kann ich ihm nicht ein Briefchen schreiben und ihm sagen, warum ich nicht komme«, fragte sie und erhob sich, »und ihm die Bücher schicken, die ich ihm versprochen habe? Er hat längst nicht so schöne Bücher wie ich, und er wollte sie so gern haben, als ich ihm erzählte, wie spannend sie sind. Darf ich, Ellen?«
    »Nein, ganz bestimmt nicht«, erwiderte ich sehr entschieden. »Er würde Ihnen dann antworten, und es nähme gar kein Ende. Nein, Miss Catherine, die Bekanntschaft muss ganz aufhören. Papa erwartet das, und ich werde darauf sehen, dass es geschieht.«
    »Aber wie kann ein kleines Briefchen…«, begann sie von neuem und setzte eine flehentliche Miene auf.
    »Still!« unterbrach ich. »Wir wollen gar nicht erst mit kleinen Briefchen anfangen. Gehen Sie zu Bett!«
    Sie warf mir einen sehr ungezogenen Blick zu, so ungezogen, dass ich ihr zuerst keinen Gutenachtkuss geben wollte. Ich deckte sie zu und schloss die Tür sehr ärgerlich. Aber auf halbem Wege bereute ich es und kehrte leise um, und siehe da! da stand Miss Cathy am Tisch, ein Stück weisses Papier vor sich und einen Bleistift in der Hand, den sie schuldbewusst verschwinden ließ, als ich wieder eintrat.
    »Sie werden niemand finden, der Ihnen das besorgt, Catherine«, sagte ich, »wenn Sie das schreiben, und jetzt werde ich Ihre Kerze auslöschen.«
    Ich setzte das Hütchen auf die Flamme und fühlte im selben Augenblick einen Schlag auf meine Hand und hörte ein ärgerliches »Dummes Ding!« Ich verließ sie wieder, und sie schob in allerschlimmster Laune den Riegel vor. Der Brief wurde geschrieben und vom Milchjungen, der aus dem Dorf kam, seinem Bestimmungsort zugeführt; doch das erfuhr ich erst einige Zeit später. Wochen vergingen, und Cathys Stimmung besserte sich, obwohl sie eine seltsame Vorliebe dafür fasste, sich allein in Winkel zu verkriechen. Oft, wenn ich, während sie las, in ihre Nähe kam, fuhr sie zusammen und beugte sich über das Buch, augenscheinlich bestrebt, es zu verbergen, und ich entdeckte Ecken von losen Blättern, die zwischen den Seiten hervorguckten. Auch ersann sie die List, früh am Morgen herunterzukommen und in der Küche umherzulungern, als ob sie etwas erwarte, und sie hatte ein kleines Schubfach in einem Schrank in der Bibliothek, an dem sie sich stundenlang zu schaffen zu machen wusste und dessen Schlüssel sie ganz besonders sorgsam verwahrte, wenn sie fortging.
    Eines Tages, als sie in diesem Schubfach kramte, bemerkte ich, dass die Spielsachen und Schmuckstücke, die früher darin gelegen hatten, durch zusammengefaltete Papierbogen ersetzt worden waren. Meine Neugierde und mein Misstrauen waren erwacht; ich beschloss, einen Blick auf ihre heimlichen Schätze zu werfen; darum suchte ich, als ich vor ihr und meinem Herrn sicher war, unter meinen Wirtschaftsschlüsseln einen, der zu dem Schloss passte, und fand ihn bald. Als ich das Schubfach geöffnet hatte, leerte ich seinen ganzen Inhalt in meine Schürze und nahm ihn zu mir in mein Zimmer, um ihn in Musse durchsehen zu können. Obwohl ich schon Verdacht geschöpft hatte, war ich doch überrascht, als ich entdeckte, dass es eine ausgiebige, fast tägliche Korrespondenz von Linton Heathcliff war, Antworten auf Briefe von ihr. Die früher datierten Briefe waren schüchtern und kurz, allmählich entwickelten sie sich jedoch zu wortreichen Liebesbriefen, närrisch, wie es bei dem Alter des Schreibers nur natürlich war; hin und wieder aber wiesen sie Züge auf, die, wie ich glaubte, einer erfahreneren Quelle entstammten. Einige von ihnen fielen mir als ein besonders eigentümliches Gemisch von Glut und Plattheit auf; im Anfang drückten sie echtes Gefühl aus und endeten in geziertem Wortschwall, wie ihn ein Schuljunge vielleicht anwendet, wenn er einer

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