Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
der Tür bedeute. Hareton starrte hinauf und kratzte sich den Kopf, wie ein richtiger Tölpel.
»Es is irgend so’n verdammtes Geschreibsel«, antwortete er, »ich kann’s nich lesen.«
»Kannst es nicht lesen?« rief Catherine; »ich kann das lesen, es ist Englisch. Aber ich möchte wissen, warum es da steht.«
Linton kicherte, das erste Zeichen von Fröhlichkeit, das er von sich gab.
»Er kann nicht lesen«, sagte er zu seiner Kusine. »Hättest du es für möglich gehalten, dass es einen so großen Dummkopf gibt?«
»Ist er ganz richtig im Kopf?« fragte Miss Cathy ernst, »oder ist er blöde oder verrückt? Ich habe ihn nun schon zweimal gefragt, und jedesmal hat er ein so dummes Gesicht gemacht, dass ich glaube, er hat mich nicht verstanden. Jedenfalls kann ich ihn kaum verstehen.«
Linton lachte wieder und warf Hareton, der in diesem Augenblick wirklich nicht ganz klar bei Besinnung zu sein schien, einen spöttischen Blick zu. »Daran ist nur deine Faulheit schuld, nicht wahr, Earnshaw?« sagte er. »Meine Kusine hält dich für einen Idioten. Jetzt spürst du, was dabei herauskommt, wenn man Buchgelehrsamkeit verachtet. Cathy, ist dir sein schreckliches Yorkshire-Platt aufgefallen?«
»Zum Teufel, was hat ’n das für ’n Sinn?« brummte Hareton, der eher geneigt war, seinem täglichen Gefährten zu antworten. Er wollte sich noch weiter darüber auslassen, aber die zwei jungen Leute brachen in lärmende Heiterkeit aus; denn meine unbesonnene kleine Herrin war von der Entdeckung begeistert, dass man sich über seine merkwürdige Art, zu sprechen, lustig machen konnte.
»Was hat der Teufel in deinem Satz zu tun?« kicherte Linton. »Papa hat dir gesagt, du solltest keine schlechten Ausdrücke gebrauchen, und du kannst deinen Mund nicht öffnen, ohne es zu tun. Versuche, dich wie ein gebildeter Mann zu benehmen, ja?«
»Wenn du nich wie’n Mädchen wärst statt wie’n Junge, tät ich dich gleich niederschlagen, du olle Bohnenstange!« entgegnete der wütende Grobian scharf und ging weg. Sein Gesicht brannte vor Wut und Ärger, denn er empfand, dass man ihn gekränkt hatte, und wusste nicht, wie er es heimzahlen sollte.
Mr. Heathcliff, der die Unterhaltung, genau wie ich, mit angehört hatte, lächelte, als er ihn gehen sah; aber gleich darauf warf er einen Blick voll Widerwillen auf das schwatzende Paar, das im Torweg stehenblieb. Der Junge fand einen Zeitvertreib darin, sich über Haretons Fehler und Unzulänglichkeiten zu unterhalten und kleine Geschichten über sein Tun und Treiben zum besten zu geben, und das Mädchen hatte Spaß an seinen frechen, gehässigen Reden, ohne sich klar darüber zu werden, welche Bosheit sich darin offenbarte. Ich mochte Linton nicht mehr, ich konnte ihn nicht bemitleiden, ja ich fing an, seinen Vater in gewisser Weise zu entschuldigen, wenn er ihn so geringachtete.
Wir blieben bis zum Nachmittag, eher konnte ich Cathy nicht fortbringen; aber glücklicherweise hatte mein Herr sein Zimmer nicht verlassen und nichts von unserer langen Abwesenheit bemerkt. Auf dem Heimweg hätte ich meinen Schützling gern über den Charakter der Leute, die wir gerade verlassen hatten, aufgeklärt, aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, ich sei gegen sie voreingenommen.
»Oh«, rief sie, »du stehst auf Papas Seite, Ellen, du bist parteiisch, das weiss ich, sonst hättest du mich nicht jahrelang glauben lassen, dass Linton weit von hier entfernt lebte. Ich bin wirklich sehr böse; aber ich bin auch wieder so froh, wie ich es gar nicht zeigen kann. Aber du sollst nichts über meinen Onkel sagen, bedenke, er ist mein Onkel, und ich werde Papa schelten, dass er sich mit ihm gestritten hat.«
Und so sprach sie weiter, bis ich den Versuch aufgab, sie von ihrem Irrtum zu überzeugen. An jenem Abend erwähnte sie unseren Besuch nicht, weil sie Mr. Linton nicht sah. Am nächsten Morgen kam zu meinem großen Kummer alles heraus, und doch war ich nicht allzu traurig darüber; denn ich dachte, es wäre wirksamer, wenn Mr. Linton einschritte und warnte, als wenn ich es täte. Er war jedoch zu schüchtern, um triftige Gründe für seinen Wunsch anzugeben, dass sie den Verkehr mit dem Gutshaushalt meiden solle, und Cathy wollte für jedes Verbot, das sich ihrem verwöhnten Willen entgegenstellte, gute Gründe hören.
»Papa«, rief sie nach der Begrüssung am Morgen, »rate, wen ich gestern bei meinem Spaziergang im Moor gesehen habe! Ach, Papa, du bist erschrocken; das kommt, weil du
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