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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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zu hören«, ächzte er, zu der finsteren Höhe aufblickend. »Bist du sicher, dass niemand gesprochen hat?«
    »Ganz sicher«, erwiderte seine Kusine. »Ellen und ich haben uns nur über deine Gesundheit unterhalten. Bist du wirklich kräftiger, Linton, als im Winter, als wir uns trennten? Und wenn du es auch bist, eines ist gewiss nicht stärker geworden, nämlich dein Gefühl für mich. — Sag, bist du kräftiger?«
    Tränen stürzten aus Lintons Augen, als er antwortete: »Ja, ja, ich bin es.« Und immer noch unter dem Bann des eingebildeten Anrufes, wanderten seine Blicke umher, um zu entdecken, woher die Stimme gekommen sein könnte.
    Cathy erhob sich. »Für heute müssen wir scheiden«, sagte sie. »Und ich will kein Hehl daraus machen, dass ich von unserer Begegnung bitter enttäuscht bin, wenn ich auch zu keinem ausser dir davon sprechen will; nicht etwa, dass ich vor Mr. Heathcliff Angst hätte.«
    »Still«, murmelte Linton, »um des Himmels willen, still! Er kommt.« Und er klammerte sich an Catherines Arm und versuchte sie zurückzuhalten; aber als sie das merkte, befreite sie sich hastig von ihm und pfiff nach Minny, die wie ein Hund gehorchte.
    »Ich werde nächsten Donnerstag hier sein«, rief sie, in den Sattel springend. »Leb wohl! Schnell, Ellen!« — Und so verließen wir ihn. Er war sich unseres Fortgehens kaum bewusst, so sehr war er von dem Vorgefühl in Anspruch genommen, dass sein Vater sich nähere.
    Noch bevor wir zu Hause anlangten, sänftigte sich Catherines Missvergnügen und machte einem verwirrten Gefühl des Mitleids und des Bedauerns Platz, in das sich unbestimmte, unbehagliche Zweifel über Lintons wahre Körper- und Seelenverfassung mischten. Ich teilte ihre Zweifel, doch riet ich ihr, nicht viel darüber zu sprechen, denn nach einem zweiten Ausflug könnten wir besser urteilen. Mein Herr forderte einen Bericht über unsere Erlebnisse. Der Dank seines Neffen wurde, wie es sich gehörte, ausgerichtet, das übrige streifte Miss Cathy nur, und auch ich ließ ihn über vieles im dunkeln; denn ich wusste wirklich kaum, was verborgen und was enthüllt werden sollte.
     
     

Siebenundzwanzigstes Kapitel
    SIEBEN TAGE flossen dahin, und jeder von ihnen hinterließ seine Spur durch die von da an rasch fortschreitende Verschlimmerung in Edgar Lintons Befinden. Die Auszehrung, die sich durch Monate vorbereitet hatte, vollzog sich jetzt im Verlauf von Stunden. Gern hätten wir es vor Catherine noch verborgen, aber ihr eigener lebhafter Verstand ließ sich nicht täuschen; sie erriet es insgeheim und brütete über die fürchterliche Möglichkeit nach, die allmählich zur Gewissheit wurde. Sie brachte es nicht übers Herz, ihren Ausflug zu erwähnen, als der Donnerstag gekommen war; darum tat ich es für sie und erhielt die Erlaubnis, sie hinauszutreiben. Die Bibliothek nämlich, in der ihr Vater täglich eine kurze Zeit zubrachte — nur einige Stunden lang konnte er es ertragen, aufzusitzen —, und sein Zimmer waren ihre ganze Welt. Sie grollte jedem Augenblick, den sie nicht ihm widmen konnte, sei es, dass sie sich über sein Kissen beugte oder neben ihm saß. Ihr Gesicht wurde blass durch die Sorge und das viele Wachen, und mein Herr entließ sie gern, da er glaubte, dass die andere Umgebung und Gesellschaft eine glückliche Abwechslung für sie sein würden. Überdies gewährte ihm die Hoffnung Trost, dass sie nach seinem Tode nun nicht ganz einsam zurückbliebe.
    Wie ich aus allerlei Bemerkungen schloss, die er fallenließ, war er auf die fixe Idee gekommen, dass sein Neffe ihm, da er ihm äusserlich ähnlich sah, auch im Wesen gleichen müsse; denn Lintons Briefe enthielten nur wenige oder gar keine Hinweise auf die Mängel seines Charakters. Und ich unterließ es aus einer verzeihlichen Schwäche, diesen Irrtum richtigzustellen; denn ich fragte mich, was es wohl für einen Sinn gehabt hätte, ihn vor seinem Ende noch mit der Aufklärung über diese Dinge zu beunruhigen, da er weder die Macht noch die Gelegenheit hatte, ihren Lauf zu beeinflussen.
    Wir verschoben unseren Ausflug bis zum Nachmittag, einem goldenen Nachmittag im August. Jeder Windhauch, der von den Höhen her kam, war so angefüllt mit Lebenskraft, dass man meinen konnte, wer ihn einatmete, müsse, auch wenn er im Sterben liege, wiederaufleben. Catherines Antlitz war ein Spiegel der Landschaft, Schatten und Sonnenschein glitten in schneller Folge darüber hin; aber die Schatten verweilten länger, und der

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