Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
Vom Netzwerk:
Sonnenschein war flüchtiger; denn in ihrem Herzen machte sich das arme Ding selbst über diese vorübergehende Vernachlässigung ihrer Pflichten Vorwürfe.
    Wir sahen Linton an derselben Stelle, die er das letzte Mal gewählt hatte, nach uns ausschauen. Meine junge Herrin stieg vom Pferd und sagte mir, da sie entschlossen sei, nur ganz kurz zu bleiben, sollte ich lieber das Pony halten und selbst auf meinem Pferde sitzen bleiben. Aber ich weigerte mich, denn ich wollte meinen Schützling keine Minute aus den Augen verlieren; und so erstiegen wir gemeinsam den Heidehügel. Master Heathcliff empfing uns diesmal mit grösserer Lebhaftigkeit, einer Lebhaftigkeit aber, die weder gehobener Stimmung noch der Freude entsprang, sie sah mehr nach Angst aus.
    »Es ist spät«, sagte er kurzatmig, und das Sprechen schien ihm schwerzufallen. »Ist dein Vater nicht sehr krank? Ich glaubte, du kämest nicht.«
    »Warum willst du nicht aufrichtig sein?« rief Catherine und verschluckte ihre Begrüssung. »Warum kannst du mir nicht gleich sagen, dass du mich nicht haben willst? Es ist seltsam, Linton, dass du mich zum zweitenmal mit Absicht hierbei bestellt hast, anscheinend aus keinem anderen Grunde als zum Missvergnügen für uns beide.«
    Linton blickte sie halb demütig, halb beschämt an; aber die Geduld seiner Kusine war am Ende, sie konnte sein rätselhaftes Benehmen nicht länger ertragen.
    »Mein Vater ist sehr krank«, sagte sie, »warum hat man mich von seinem Lager weggerufen, warum hast du mir keine Botschaft geschickt, um mich von meinem Versprechen zu entbinden, wenn du doch wünschtest, ich hielte es nicht? Also? Ich fordere eine Erklärung; für Spiel und Zeitvertreib habe ich jetzt keinen Sinn, und ich kann keine Rücksicht auf deine Albernheiten nehmen.«
    »Meine Albernheiten«, murmelte er, »was meinst du? Um des Himmels willen, Catherine, sieh nicht so böse drein! Verachte mich, sosehr du willst, ich bin ein unnützes, feiges, erbärmliches Geschöpf, ich kann nicht genug verachtet werden; aber ich bin zu gering für deinen Zorn: hasse meinen Vater, mich aber verachte nur.«
    »Unsinn!« schrie Catherine voller Wut. »Törichter, alberner Junge! Nun sieh nur: er zittert, als ob ich ihn wirklich anfassen wollte. Du brauchst nicht um Verachtung zu bitten, Linton, jeder wird sie von selbst für dich bereit haben. Geh weg! Ich werde nach Hause reiten, es ist Tollheit, dich vom Kamin wegzuholen unter dem Vorwand — ja, unter welchem Vorwand? Lass mein Kleid los! Wenn ich Mitleid mit dir hätte, weil du weinst und so erschrocken aussiehst, solltest du das Mitleid verschmähen. Ellen, sage ihm, wie unwürdig sein Benehmen ist. Steh auf und erniedrige dich nicht zu einem verächtlichen Wurm, hörst du?«
    Mit tränenüberströmtem Gesicht, Todesangst im Blick, war Lintons kraftlose Gestalt zu Boden gesunken. Er schien von heftigem Entsetzen geschüttelt.
    »Oh«, schluchzte er, »ich kann es nicht aushalten. Catherine, Catherine, ich bin auch ein Betrüger und wage nicht, es dir zu gestehen. Verlasse mich, und man wird mich töten. Liebe Catherine, mein Leben liegt in deiner Hand, du hast gesagt, dass du mich liebst; und wenn du es tätest, würde dir nichts geschehen. Wirst du nicht weggehen, liebe, süsse, gute Catherine? Und vielleicht wirst du einwilligen, und er wird mich bei dir sterben lassen.«
    Meine junge Herrin beugte sich, als sie seinen heftigen Schmerz wahrnahm, zu ihm nieder, um ihn aufzurichten. Das alte Gefühl nachsichtiger Zärtlichkeit überwog ihren Ärger, und sie war nur noch bewegt und bestürzt.
    »In was soll ich einwilligen?« fragte sie. »Hierzubleiben? Sage mir, was deine seltsamen Reden bedeuten, und ich will es tun; du widersprichst dir selbst und machst mich ganz wirr. Sei ruhig und offen und beichte sofort, was du auf dem Herzen hast. Du willst mich doch sicher nicht beleidigen, Linton, nicht wahr? Du würdest doch keinem Feind gestatten, mich zu kränken, wenn du es verhindern könntest? Ich könnte mir vorstellen, dass du, was dich selbst angeht, ein Feigling bist, nicht aber, dass du deinen Freund feige verraten könntest.«
    »Aber mein Vater hat mir gedroht«, keuchte der Junge und rang seine mageren Hände, »und ich habe Angst vor ihm, ich habe Angst vor ihm! Ich wage nicht, es zu verraten.«
    »Nun gut«, sagte Catherine mit verächtlichem Mitleid, »behalte dein Geheimnis für dich; ich bin kein Feigling; sorge für deine Sicherheit; ich habe keine Angst.«
    Ihre Großmut

Weitere Kostenlose Bücher