Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
hören! Hier kümmert sich keiner darum, was aus ihm wird. Wenn du es tust, kannst du ja Krankenschwester spielen; wenn nicht, dann schließe ihn ein und lass ihn liegen.‹
Dann fing sie an, mich zu quälen, und ich sagte ihr, ich hätte genug Wirtschaft mit dem lästigen Bengel gehabt; jeder von uns hätte hier seine Arbeit, und die ihre wäre es, Linton zu pflegen. Mr. Heathcliff hätte mir befohlen, ihr diese Arbeit zu überlassen.
Wie sie miteinander zurechtkamen, kann ich nicht sagen. Ich glaube, er hat sie viel geärgert, und er stöhnte Tag und Nacht, so dass sie herzlich wenig Ruhe hatte; man konnte es ihrem blassen Gesicht und ihren schweren Augenlidern ansehen. Manchmal kam sie ganz verstört in die Küche und sah aus, als wolle sie um Hilfe bitten. Aber ich habe mich gehütet, dem Befehle des Herrn zuwiderzuhandeln. Ich wage das niemals, Mrs. Dean. Und wenn ich es auch für falsch hielt, Doktor Kenneth nicht kommen zu lassen, so war es ja nicht meine Sache, einen Rat zu geben oder mich zu beschweren, und ich habe mich immer gehütet, mich einzumischen. Ein- oder zweimal, nachdem wir schon zu Bett gegangen waren, habe ich meine Tür noch einmal geöffnet und habe sie oben auf der Treppe sitzen und weinen sehen. Da hab ich schnell wieder zugemacht, aus Angst, ich könnte mich dazu bewegen lassen, einzugreifen. Sie hat mir wirklich leid getan damals, aber ich wollte auch meine Stellung nicht verlieren, wissen Sie.
Schließlich kam sie eines Nachts einfach in mein Zimmer und erschreckte mich zu Tode mit den Worten: ›Sag Mr. Heathcliff, dass sein Sohn stirbt; diesmal bin ich ganz sicher, dass er stirbt. Steh schnell auf und sag es ihm!‹
Nach diesen Worten verschwand sie wieder. Ich lag eine Viertelstunde zitternd da und horchte. Nichts rührte sich, es war alles ruhig im Hause.
›Sie hat sich geirrt‹, sagte ich mir. ›Er hat es noch einmal überwunden. Ich brauche sie nicht zu stören‹, und dann schlummerte ich ein. Aber mein Schlaf wurde ein zweites Mal unterbrochen durch ein lautes Anschlagen der Klingel der einzigen, die wir haben und die lediglich für Linton angebracht worden war —, und der Herr rief, ich solle nachsehen, was los wäre, und ihnen sagen, dass er sich den Lärm verbäte.
Ich richtete Catherines Auftrag aus. Er fluchte vor sich hin und kam nach ein paar Minuten mit einer Kerze heraus und ging in ihr Zimmer hinüber. Ich folgte ihm. Mrs. Heathcliff saß neben dem Bett, die gefalteten Hände auf den Knien. Ihr Schwiegervater ging hin, hielt das Licht nahe an Lintons Gesicht, sah ihn an und berührte ihn; dann wandte er sich zu ihr.
›Nun, Catherine, wie ist dir zumute?‹
Sie war stumm.
›Wie dir zumute ist, Catherine?‹ wiederholte er.
›Er ist in Sicherheit, und ich bin frei‹, antwortete sie, ›ich sollte froh sein, aber‹, fuhr sie mit einer Bitterkeit fort, die sie nicht verbergen konnte, ›du hast mich so lange allein gegen den Tod kämpfen lassen, dass ich jetzt nur den Tod sehe und fühle. Ich fühle mich selber wie tot.‹
Und sie sah auch so aus. Ich gab ihr etwas Wein. Hareton und Joseph, die durch das Klingeln und Hinundhergehen geweckt worden waren und draussen unser Sprechen gehört hatten, kamen jetzt herein. Ich glaube, Joseph war heilfroh darüber, dass der Junge gestorben war. Hareton schien ein wenig beunruhigt, obwohl er mehr Catherine anstarrte als auf Linton achtete; der Herr schickte ihn aber wieder zu Bett, da wir seine Hilfe nicht brauchten. Später ließ er Joseph den Leichnam in sein Zimmer tragen, sagte mir, ich solle in meines gehen, und Mrs. Heathcliff blieb allein.
Am Morgen schickte er mich hinauf, um ihr zu sagen, sie solle zum Frühstück herunterkommen. Sie hatte sich ausgezogen und schien einschlafen zu wollen und sagte mir, sie sei krank, was mich kaum wundernahm. Ich richtete es Mr. Heathcliff aus, und er erwiderte: ›Gut, lass sie in Ruhe bis nach dem Begräbnis, und geh ab und zu hinauf, um ihr zu bringen, was sie braucht; und wenn ihr wohler ist, sag es mir.‹«
Vierzehn Tage lang blieb Cathy oben, nach dem, was Zillah mir sagte, die täglich zweimal nach ihr sah und jetzt gern netter zu ihr gewesen wäre; aber ihre Versuche einer freundlichen Annäherung wurden kurz und stolz abgewiesen.
Heathcliff ging einmal hinauf, um ihr Lintons Testament zu zeigen. Er hatte alles, was ihm und ihr an beweglichem Vermögen gehörte, seinem Vater vermacht. Während der Woche ihrer Abwesenheit, als sein Onkel starb, war der
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