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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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damit, ein wenig weiter zurückzutreten und sie selbst anzuschauen statt der Bücher.
    Sie fuhr fort, zu lesen oder etwas zum Lesen zu suchen. Seine Aufmerksamkeit wurde allmählich ganz von der Betrachtung ihrer dichten, seidigen Locken in Anspruch genommen; ihr Gesicht konnte er nicht sehen, und sie sah nichts von ihm. Wahrscheinlich ohne selber zu wissen, was er tat, so, wie ein Kind von einer brennenden Kerze angezogen wird, ging er schließlich vom Ansehen zum Berühren über; er streckte die Hand aus und strich so zart über eine ihrer Locken, als sei sie ein Vogel. Sie fuhr so heftig herum, als hätte er ihr ein Messer in den Nacken gestoßen.
    ›Geh augenblicklich weg! Wie kannst du es wagen, mich anzufassen? Warum stehst du hier herum?‹ rief sie in einem Ton des Widerwillens. ›Ich kann dich nicht ertragen! Ich gehe wieder hinauf, wenn du mir nahe kommst!‹
    Mr. Hareton zog sich zurück und sah so blöde drein wie nur je; sehr still setzte er sich auf die Ofenbank, und sie blätterte eine halbe Stunde lang weiter in ihren Bänden. Schließlich kam Earnshaw zu mir herüber und flüsterte mir zu: ›Kannste sie bitten, ob se uns was vorliest, Zillah? Ich hab’s satt, nichts zu tun, und ich hätt’s gern, ich würd’s gern hören. Sag nich, dass ich’s will, frag von dir aus.‹
    ›Mr. Hareton bittet, ob Sie uns etwas vorlesen wollen‹, sagte ich sogleich. ›Er würde sich sehr darüber freuen, er würde Ihnen dankbar dafür sein.‹
    Sie runzelte die Stirn und antwortete aufblickend: ›Mr. Hareton und ihr alle mögt gefälligst zur Kenntnis nehmen, dass ich jede Vorspiegelung von Freundlichkeit zurückweise, die ihr mir heuchlerisch vortäuschen wollt. Ich verachte euch alle und will mit euch allen gar nichts zu tun haben! Als ich mein Leben hingegeben hätte für ein einziges freundliches Wort, ja selbst dafür, einen von euch zu sehen, bliebt ihr alle weg. — Aber ich will mich bei euch nicht beklagen. Mich hat nur die Kälte heruntergetrieben; ich habe weder die Absicht, jemand von euch zu unterhalten, noch eure Gesellschaft zu suchen.‹
    ›Was hätt ich’n tun sollen?‹ fing Earnshaw an. ›Was hab ich’n falsch gemacht?‹
    ›Oh, Sie sind natürlich ausgenommen‹, antwortete Mrs. Heathcliff. ›Ich habe Ihre Anteilnahme nie vermisst.‹
    ›Aber ich hab sie oft genug angeboten und hab gefragt‹, sagte er, infolge ihres schnippischen Wesens in Hitze geratend, ›ich hab Mr. Heathcliff gesagt, er soll mich nachts für Sie wachen lassen.‹
    ›Schweigen Sie! Lieber gehe ich hinaus oder sonstwohin, nur um Ihre unangenehme Stimme nicht hören zu müssen!‹ sagte die junge Frau.
    Hareton brummte vor sich hin, seinetwegen möge sie sich zum Teufel scheren; und indem er seine Flinte von der Wand nahm, widmete er sich wieder seiner gewöhnlichen Sonntagsbeschäftigung. Er redete jetzt frei von der Leber weg, und sie war drauf und dran, sich wieder in ihre Einsamkeit zu verkriechen, aber der Frost hatte eingesetzt, und trotz ihrem Stolze musste sie sich allmählich dazu bequemen, unsere Gesellschaft zu ertragen. Ich sorgte jedoch dafür, dass sie nicht wieder über meine Gutmütigkeit spottete; seither bin ich genauso abweisend wie sie, und niemand ist unter uns, der sie liebt oder auch nur gern hat, und sie verdient es auch nicht anders; denn jedem, der auch nur das geringste Wort zu ihr sagt, springt sie ins Gesicht, denn sie hat vor niemandem Angst. Sie macht nicht mal vor dem Herrn halt und fordert ihn geradezu heraus, sie zu schlagen, und je mehr er ihr weh tut, desto giftiger wird sie.« –
    Nachdem ich diesen Bericht Zillahs gehört hatte, beschloss ich zuerst, meine Stellung aufzugeben, ein Häuschen zu mieten und Catherine dorthin zu mir zu nehmen; aber Mr. Heathcliff hätte das ebensowenig zugelassen, als er Hareton in einem Hause für sich allein hätte leben lassen; so sehe ich im Augenblick gar keinen Ausweg, es sei denn, sie könnte sich wieder verheiraten, doch kommt es mir nicht zu, etwas Derartiges in die Wege zu leiten.
    Hier endete Mrs. Deans Geschichte. Trotz der Prophezeiung des Arztes erhole ich mich zusehends, und obwohl wir erst in der zweiten Januarwoche sind, habe ich vor, in ein bis zwei Tagen auszureiten. Ich will nach Wuthering Heights hinauf, um meinem Gutsherrn mitzuteilen, dass ich das kommende halbe Jahr in London zu verbringen gedenke und dass er sich, wenn er will, nach einem neuen Pächter umsehen möge, der das Haus im Oktober übernimmt. Ich möchte um

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