Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
armselige Tropf durch Drohungen oder Schmeichelreden zu diesem Schritt gedrängt worden. Da er minderjährig war, konnte er über die Ländereien nicht verfügen. Aber Mr. Heathcliff hatte diese sowohl im Namen seiner Frau wie auch in seinem eigenen beansprucht und in Besitz genommen, und zwar rechtmäßig, glaube ich; auf jeden Fall kann Catherine ohne Geldmittel und ohne Freunde ihm seinen Besitz nicht streitig machen.
»Nur dieses eine Mal«, erzählte Zillah, »ist ausser mir jemand in die Nähe ihrer Tür gekommen, und niemand hat nach ihr gefragt. An einem Sonntagnachmittag kam sie zum erstenmal herunter. Als ich das Mittagessen hinaufbrachte, schrie sie, sie könne es nicht länger in der Kälte aushalten, und ich sagte ihr, dass der Herr nach Thrushcross Grange hinunterritte und Earnshaw und ich sie nicht daran zu hindern brauchten herunterzukommen. So erschien sie, sobald sie Heathcliffs Pferd hatte forttraben hören, ganz in Schwarz, ihre blonden Locken straff hinter die Ohren zurückgekämmt, wie ein Quäker; ganz glatt konnte sie sie nicht bekommen.«
»Joseph und ich gehen gewöhnlich am Sonntag zur Kapelle.« (Die Kirche, müssen Sie wissen, hat jetzt keinen Pfarrer mehr, erklärte Mrs. Dean, und sie nennen das Gotteshaus der Methodisten oder Baptisten — ich weiss nicht, welche Sekte es ist — in Gimmerton die Kapelle.) »Joseph war hingegangen«, fuhr Zillah fort, »aber ich hielt es für schicklich, dazubleiben. Junge Leute sind immer besser unter Aufsicht eines älteren Menschen, und Hareton ist bei all seiner Schüchternheit nicht gerade ein Muster guten Benehmens. Ich ließ ihn wissen, dass seine Kusine voraussichtlich zu uns herunterkommen und bei uns sitzen werde, und da sie von jeher gewohnt war, den Sonntag heilig zu halten, sollte er seine Gewehre und seine kleine Alltagsarbeit ruhen lassen, solange sie da war. Er wurde rot bei der Nachricht und warf einen Blick auf seine Hände und seinen Anzug. Gewehröl und Schiesspulver waren im Nu aus dem Wege geräumt. Ich sah, dass er ihr Gesellschaft leisten, und seinem Wesen merkte ich an, dass er nett aussehen wollte. Da hab ich gelacht, wie ich niemals lachen darf, wenn der Herr in der Nähe ist, hab ihm angeboten, ihm zu helfen, und hab ihn wegen seiner Verwirrung geneckt. Da wurde er ärgerlich und fing an zu fluchen.
Nun, Mrs. Dean«, fuhr Zillah fort, als sie sah, dass mir ihre Art nicht gefiel, »Sie denken vielleicht, Ihre junge Dame sei zu gut für Mr. Hareton, und damit können Sie recht haben; aber ich muss zugeben, ich würde sie schon ganz gern von ihrem hohen Pferd herunterbringen. Und was nützt ihr jetzt ihre ganze Klugheit und Feinheit? Sie ist so arm wie Sie oder ich, vielleicht noch ärmer; denn Sie können sparen, und ich bringe es auch zu etwas.«
Hareton ließ sich wirklich von Zillah helfen, und diese brachte ihn mit ihrem Geschwätz nach und nach wieder in gute Laune, so dass, als Catherine kam, er halb und halb vergaß, wie sie ihn früher gekränkt hatte, und dank der Haushälterin versuchte, sich angenehm zu machen.
»Die junge Frau«, sagte Zillah, »kam herein, kalt wie ein Eiszapfen und hochmütig wie eine Prinzessin. Ich stand auf und bot ihr meinen Platz im Lehnstuhl an. Aber sie rümpfte die Nase über meine Höflichkeit. Earnshaw stand auch auf und bat sie, zur Ofenbank herüberzukommen und sich ans Feuer zu setzen, denn er glaubte, sie wäre ganz erfroren.
›Ich habe einen Monat und länger gefroren‹, war ihre mit verächtlicher Betonung gegebene Antwort.
Damit holte sie sich selbst einen Stuhl und setzte ihn in einiger Entfernung vor uns hin. Als sie sich erwärmt hatte, fing sie an, sich umzusehen, und entdeckte eine Anzahl Bücher auf der Anrichte; sofort war sie wieder auf den Füssen und reckte sich empor, um sie zu erreichen, aber sie standen zu hoch. Ihr Vetter fasste, nachdem er ihr Bemühen ein Weilchen beobachtet hatte, endlich den Mut, ihr zu helfen; sie breitete ihren Rock aus, und er füllte ihn mit Büchern, wie sie ihm gerade zur Hand kamen.
Das war ein großer Fortschritt für den jungen Menschen. Sie dankte ihm nicht; aber er fühlte sich belohnt, weil sie seine Hilfe angenommen hatte, und blieb hinter ihr stehen, während sie die Bücher durchsah; er beugte sich sogar vor und zeigte auf das, was seine Aufmerksamkeit bei manchen alten Bildern in den Büchern fesselte. Er war auch nicht verletzt über die ungezogene Art, mit der sie die Blätter aus seinen Händen riss; er begnügte sich
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