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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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ich musste die Augen öffnen, um sie zu sehen. Und so öffnete und schloss ich sie wohl hundertmal in einer Nacht um immer wieder enttäuscht zu werden. Das war eine Folter für mich! Ich habe oft laut gestöhnt, so dass Joseph, der alte Schuft, wahrscheinlich geglaubt hat, mein schlechtes Gewissen plage mich. Jetzt, nachdem ich sie gesehen habe, bin ich ein wenig ruhiger. Eine merkwürdige Art, jemanden zu Tode zu quälen: nicht Zoll für Zoll, sondern um den Bruchteil einer Haaresbreite, und ihn achtzehn lange Jahre hindurch mit einem Hoffnungsschimmer zu betrügen.«
    Mr. Heathcliff hielt inne und trocknete sich die Stirn; sein Haar klebte daran, nass von Schweiss; sein Blick ruhte auf der glühenden Asche des Kaminfeuers; die Augenbrauen waren nicht finster zusammengezogen, sondern liefen in natürlichem Bogen zu den Schläfen, so dass seine sonst so finsteren Gesichtszüge weicher erschienen; sie verrieten jetzt eher einen tiefen Kummer und eine schmerzliche seelische Spannung, so, als richteten sich alle Gedanken nur auf einen Gegenstand. Er hatte nur halb zu mir gesprochen, und ich verharrte in Schweigen. Ich war ungern Zeuge dieser Reden. Nach einer Weile hörte er auf, das Bild zu betrachten, nahm es herunter und lehnte es gegen das Sofa, um es besser ansehen zu können. Während er noch so stand, trat Catherine ein und sagte, dass sie fertig sei, sobald ihr Pony gesattelt wäre.
    »Schicke das Bild morgen hinüber«, sagte Heathcliff zu mir; dann, sich zu Catherine wendend, fuhr er fort: »Du kannst ohne dein Pony auskommen; es ist ein schöner Abend, und in Wuthering Heights wirst du keine Ponys brauchen. Zu den Wegen, die du dort machen wirst, genügen deine Füsse. Jetzt komm!«
    »Leb wohl, Ellen!« flüsterte meine liebe kleine Herrin. Als sie mich küsste, fühlten sich ihre Lippen eiskalt an. »Besuche mich einmal, Ellen, denke daran!«
    »Hüte dich davor, dergleichen zu tun, Mrs. Dean!« sagte ihr neuer Vater. »Wenn ich dich zu sprechen wünsche, werde ich hierherkommen. Ich wünsche nicht, dass ihr in meinem Hause umherschnüffelt.«
    Er machte Catherine ein Zeichen, ihm zu folgen, und mit einem Blick, der mir das Herz zerriss, gehorchte sie. Vom Fenster aus sah ich sie in den Garten hinabgehen. Heathcliff klemmte Catherines Arm unter seinen, obwohl sie sich zuerst anscheinend heftig dagegen sträubte, und mit raschen Schritten zog er sie zu der Allee hinüber, hinter deren Bäumen sie verschwanden.
     
     

Dreissigstes Kapitel
    ICH BIN EINMAL in Wuthering Heights gewesen, aber ich habe sie nicht wiedergesehen, seit sie von hier wegging. Joseph hielt die Tür fest, als ich nach ihr fragte, und wollte mich nicht eintreten lassen. Er sagte, Mrs. Heathcliff sei beschäftigt und der Herr nicht zu Hause. Zillah hat mir dies und jenes darüber erzählt, wie sie leben, sonst würde ich kaum wissen, wer von ihnen noch am Leben und wer gestorben ist. Ihren Reden entnahm ich, dass sie Catherine für hochmütig hält und dass sie sie nicht leiden mag. Meine junge Herrin verlangte, als sie hinkam, einige Dienste von ihr; aber Mr. Heathcliff sagte, Zillah solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, und seine Schwiegertochter solle zusehen, wie sie fertig werde; und Zillah, die eine engherzige, selbstsüchtige Person ist, gab sich gern damit zufrieden. Catherine bekundete einen kindlichen Ärger über diese Vernachlässigung, erwiderte sie mit Geringschätzung und trieb Zillah dadurch so gewiss auf die Seite ihrer Feinde, als wenn sie ihr ein großes Unrecht zugefügt hätte. Vor etwa sechs Wochen hatte ich eines Tages, als wir im Moor zusammentrafen, ein langes Gespräch mit Zillah; das war kurz bevor Sie hierherkamen. Und dabei erzählte sie mir folgendes:
    »Das erste, was Mrs. Heathcliff tat, als sie nach Wuthering Heights kam, war, die Treppe hinaufzulaufen, ohne mir oder Joseph auch nur guten Tag zu sagen; sie schloss sich in Lintons Zimmer ein und blieb dort bis zum Morgen. Dann, während der Herr und Earnshaw beim Frühstück saßen, kam sie in das ›Haus‹ herunter und fragte zitternd, ob jemand den Doktor holen könne, ihr Vetter sei sehr krank.
    ›Das wissen wir‹, antwortete Heathcliff, ›aber sein Leben ist keinen Heller wert, und ich gebe für ihn auch keinen Heller mehr aus.‹
    ›Aber ich weiss nicht, was ich tun soll‹, sagte sie, ›und wenn mir niemand hilft, dann wird er sterben.‹
    ›Mach, dass du aus dem Zimmer kommst, und lass mich nie wieder ein Wort über ihn

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