Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
sie für dich haben konnte.«
»Die Unterhaltung ist mir einerlei«, antwortete sie. »Ich wollte bei…«
»Nun?« sagte Catherine, die bemerkte, wie sie zögerte, den Satz auszusprechen.
»Bei ihm sein, und ich will nicht immer weggeschickt werden!« fuhr sie fort, wieder in Hitze geratend. »Du bist ein Neidhammel, Cathy, und willst nicht, dass jemand neben dir geliebt wird!«
»Du bist ein unverschämtes kleines Balg!« rief Mrs. Linton erstaunt aus. »Ich kann diesen Unsinn nicht glauben! Es ist doch unmöglich, dass du von Heathcliff verehrt sein willst, dass du ihn für einen netten Menschen halten kannst! Ich habe dich wohl missverstanden, Isabella?«
»Nein, das hast du nicht«, sagte das betörte Mädchen. »Ich liebe ihn mehr, als du Edgar jemals geliebt hast, und er würde mich lieben, wenn du es zulassen würdest.«
»In dem Fall möchte ich nicht um ein Königreich an deiner Stelle sein!« erklärte Catherine mit Nachdruck und großer Aufrichtigkeit. »Nelly, hilf mir, sie von ihrer Tollheit zu überzeugen. Sag ihr, was Heathcliff ist: ein unbeherrschtes Geschöpf, ohne Bildung, ohne Kultur, eine dürre Wildnis von Stechginster und Basaltfelsen. Eher würde ich den kleinen Kanarienvogel dort an einem Tag im Winter im Park aussetzen, als dir empfehlen, ihm dein Herz zu schenken! Es ist beklagenswerte Unkenntnis seines Wesens und nichts anderes, mein Kind, was dir diesen Traum eingegeben hat. Bitte, bilde dir nicht ein, dass er unter dem rauhen Äusseren eine Welt von Güte und Zärtlichkeit verbirgt. Er ist kein ungeschliffener Diamant, keine schlichte Auster, die eine Perle beherbergt: er ist ein wilder, unbarmherziger, wölfischer Mensch. Ich sage nie zu ihm: ›Lass diesen oder jenen Feind in Ruh, weil es unedel oder grausam ware, ihm zu schaden‹; ich sage: ›Lass ihn in Ruh, denn mir wäre es schrecklich, wenn ihm Unrecht geschähe.‹ Glaube mir, Isabella, er würde dich zerdrücken wie ein Sperlingsei, wenn du ihm eines Tages lästig würdest. Ich weiss, er könnte nie eine Linton lieben, und doch wäre er imstande, dein Vermögen und die Aussichten, die du hast, zu heiraten. Der Geiz wird bei ihm mehr und mehr zum Laster. Da hast du seinen Charakter, von mir gezeichnet, die ich seine Freundin bin, und zwar so sehr, dass ich wahrscheinlich meinen Mund gehalten und dich in seine Falle hätte gehen lassen, wenn er im Ernst daran gedacht hätte, dich zu erobern.«
Miss Linton betrachtete ihre Schwägerin voll Entrüstung.
»Schäme dich, schäme dich!« wiederholte sie ärgerlich. »Du bist schlimmer als zwanzig Feinde, du giftige Freundin!«
»Du willst mir also nicht glauben?« sagte Catherine. »Du denkst, ich spräche aus böser Selbstsucht?«
»Ich bin gewiss, dass du das tust«, erwiderte Isabella scharf, »und mir graut vor dir.«
»Gut«, schrie die andere, »überzeuge dich selbst, wenn dein Gefühl dich dazu treibt. Ich habe das Meine getan; nun sieh du, wohin du mit deiner Unverschämtheit kommst!«
»Und ich muss unter ihrer Selbstsucht leiden«, schluchzte Isabella, als Mrs. Linton aus dem Zimmer gegangen war. »Alle sind gegen mich; sie hat meinen einzigen Trost zunichte gemacht. Aber sie hat gelogen, nicht wahr? Mr. Heathcliff ist kein Teufel; er ist ein edler Mensch und ist treu, wie wäre er sonst zu ihr zurückgekommen?«
»Verbannen Sie ihn aus Ihren Gedanken, Miss«, sagte ich. »Er ist ein Unglücksvogel, kein Mann für Sie. Mrs. Linton hat harte Worte gebraucht, aber ich kann ihr nicht widersprechen. Sie kennt sein Herz besser als ich oder sonst jemand, und sie wird ihn nie schlechter machen, als er ist. Ehrliche Leute verbergen ihre Taten nicht. Wie hat er gelebt? Wie ist er so reich geworden? Warum bleibt er in Wuthering Heights, im Hause eines Mannes, den er verachtet? Es wird erzählt, mit Mr. Earnshaw werde es schlimmer und schlimmer, seit er gekommen ist. Sie bleiben die ganzen Nächte zusammen auf, und Hindley hat Geld auf sein Land aufgenommen und tut nichts anderes als spielen und trinken. Ich hörte es erst vor einer Woche. Joseph hat es mir erzählt; ich traf ihn in Gimmerton. ›Nelly‹, sagte er, ›bei unserer Herrschaft is balde Nachfrage nach’m Leichenbeschauer. Der eine hat sich balde die Finger abgeschnitten, weil er’n andern hindern wollte, der sich selbst wollt abstechen wie’n Kalb. Das is der Herr, weisste, un das geht so, bis’s Maß voll is. Er hat nich Angst vorm Gericht un den Richtern, nich vor Paul, vor Peter, vor Johannes un vor
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