Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
zudrücken sollte. Ich habe die Pflicht einer treuen Dienerin erfüllt, als ich Ihnen Bescheid sagte, und wie eine treue Dienerin bin ich belohnt worden. Nun, ich werde daraus die Lehre ziehen, das nächste Mal vorsichtiger zu sein. Das nächste Mal können Sie sich Ihre Auskünfte selbst holen.«
»Wenn du mir noch einmal Klatsch zuträgst, wirst du aus meinem Dienst entlassen, Ellen Dean«, entgegnete er.
»Also wollen Sie am liebsten nichts mehr darüber hören, Mr. Linton?« sagte ich. »Heathcliff hat Ihre Erlaubnis, dem Fräulein den Hof zu machen und bei jeder Gelegenheit, die Ihre Abwesenheit bietet, herzukommen und die gnädige Frau gegen Sie aufzuhetzen?«
Trotz ihrer Verwirrung war Catherine wachsam unserer Unterhaltung gefolgt.
»Oh, Nelly hat den Angeber gespielt!« rief sie leidenschaftlich aus. »Nelly ist mein verborgener Feind. Du Hexe! Also hast du doch Elfenpfeile gesucht, um uns zu treffen. Lass mich los, sie soll es bereuen! Sie soll es winselnd widerrufen.«
Die Wut des Wahnsinns glomm in ihren Augen; sie kämpfte verzweifelt, um sich aus Lintons Armen zu befreien. Ich hatte keine Lust, den Ausgang des Kampfes abzuwarten, darum verließ ich das Zimmer, entschlossen, auf eigene Verantwortung ärztliche Hilfe herbeizuholen.
Als ich durch den Garten nach der Straße ging, sah ich an der Mauer an einem für das Zaumzeug bestimmten Haken etwas Weisses hängen in zuckender, offenbar nicht durch den Wind verursachter Bewegung. Trotz meiner Eile blieb ich stehen, um nachzusehen, damit ich mir nicht später einmal einbilden könnte, es sei ein Wesen aus einer anderen Welt gewesen. Meine Überraschung und Bestürzung waren groß, als ich, mehr durch Betasten als mit den Augen, Miss Isabellas Hündchen Fanny erkannte, das an einem Taschentuch aufgeknüpft und fast erstickt war. Schnell befreite ich das Tierchen und setzte es in den Garten. Ich hatte gesehen, wie es hinter seiner Herrin die Treppe hinaufgelaufen war, als sie zu Bett ging, und zerbrach mir den Kopf, wie es hierhergeraten sein konnte und welcher boshafte Mensch es so behandelt haben mochte. Während ich den Knoten am Haken löste, war es mir wiederholt, als ob ich in einiger Entfernung den Hufschlag galoppierender Pferde vernähme; meine Gedanken jedoch waren so mit anderen Dingen beschäftigt, dass ich den Umstand kaum beachtete, obgleich es an diesem Ort und um zwei Uhr nachts ein ungewöhnliches Geräusch war.
Doktor Kenneth trat glücklicherweise gerade aus seinem Haus, um einen Patienten im Dorf zu besuchen, als ich die Straße heraufgelaufen kam, und mein Bericht über Catherine Lintons Krankheit veranlasste ihn, mich sofort zurückzubegleiten. Er war immer aufrichtig und geradezu und äusserte jetzt offen seine Zweifel daran, dass sie diesen zweiten Anfall überleben werde, es sei denn, sie werde seinen Anordnungen gegenüber gefügiger sein als früher.
»Nelly Dean«, sagte er, »ich muss annehmen, dass ein besonderer Grund für die Krankheit vorliegt. Was ist in Thrushcross Grange vorgefallen? Man hört hier merkwürdige Dinge. Eine kräftige und gesunde Frau wie Catherine wird nicht um einer Kleinigkeit willen krank, und solche Menschen sollten auch nicht krank werden; denn es ist ein hartes Stück Arbeit, sie durch ein Fieber oder ähnliche schwere Krankheiten durchzubringen. Wie kam es dazu?«
»Der Herr wird es Ihnen sagen«, antwortete ich, »aber Sie kennen ja die jähzornige Veranlagung der Earnshaws, die Mrs. Linton im Übermaß besitzt. Ich kann nur soviel sagen: Es begann mit einem Streit. Während eines leidenschaftlichen Ausbruchs erlitt sie einen Anfall. Zum mindesten sagt sie selber das; denn als er seinen Höhepunkt erreicht hatte, stürzte sie hinaus und schloss sich ein. Danach weigerte sie sich, zu essen, und jetzt verfällt sie abwechselnd in Raserei und eine Art Traumzustand. Wohl erkennt sie ihre Umgebung, doch ist ihr Geist von allerlei seltsamen Gedanken und Vorstellungen erfüllt.«
»Nimmt Mr. Linton es sehr schwer?« bemerkte Kenneth in fragendem Ton.
»Schwer? Das Herz würde ihm brechen, wenn etwas geschehen sollte«, erwiderte ich. »Beunruhigen Sie ihn nicht mehr als nötig.«
»Ich habe ihm früher schon gesagt, er solle sich vorsehen«, sagte mein Begleiter, »nun muss er die Folgen tragen, weil er meine Warnung in den Wind geschlagen hat. Ist er nicht in letzter Zeit mit Mr. Heathcliff befreundet gewesen?«
»Heathcliff kommt häufig zu uns«, antwortete ich, »allerdings mehr, weil die
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