Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
dort; die Luft weht da so süss, ich fühle, das würde dich gesund machen.«
»Dort werde ich nur noch einmal sein«, sagte die Kranke, »und dann wirst du mich verlassen, und ich werde ewig dort bleiben. Im nächsten Frühling wirst du dich wieder danach sehnen, mich unter diesem Dach zu haben, und du wirst rückwärts blicken und denken, wie glücklich du doch heute warst.«
Linton überschüttete sie mit Zärtlichkeiten und versuchte, sie mit den liebevollsten Worten aufzuheitern; sie aber betrachtete die Blumen mit abwesenden Blicken, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie achtlos die Wangen hinabrinnen ließ. Wir wussten, dass es ihr wirklich besser ging, daher zogen wir den Schluss, dass der lange Aufenthalt im Krankenzimmer viel von dieser Mutlosigkeit verursacht haben mochte, und hofften, dass ein Wechsel der Umgebung vielleicht einen Teil davon beseitigen werde. Der Herr befahl mir, in dem seit vielen Wochen verwaisten Wohnzimmer Feuer zu machen und einen Lehnstuhl in die Sonne ans Fenster zu stellen, und dann brachte er Catherine hinunter. Sie saß eine lange Zeit und genoss die wohltuende Wärme, und wie wir erwartet hatten, lebte sie wieder auf beim Anblick all der Gegenstände um sie herum, die ihr wohlvertraut waren, frei von den düsteren Gedankengängen, die das verhasste Krankenzimmer in ihr weckte. Am Abend schien sie völlig erschöpft zu sein; aber keine Vernunftgründe konnten sie dazu bewegen, wieder in das alte Zimmer zurückzukehren; ich musste das Sofa im Wohnzimmer als Bett für sie zurechtmachen, bis ein anderer Raum für sie hergerichtet werden konnte. Um das ermüdende Treppensteigen zu vermeiden, setzten wir das Zimmer instand, in dem Sie augenblicklich liegen, auf demselben Flur wie das Wohnzimmer, und sie war bald kräftig genug, dass sie, auf Edgars Arm gestützt, aus dem einen ins andere gehen konnte. Ach, ich glaubte selbst, sie könne gesund werden bei der Pflege, die sie hatte. Und zwiefach war die Veranlassung, es zu wünschen; denn von ihrem Leben hing ein zweites ab: wir hegten die Hoffnung, dass in Kürze durch die Geburt eines Erben Mr. Lintons Herz beglückt werde und seine Ländereien vor dem Zugriff eines Fremden gesichert blieben.
Ich muss erwähnen, dass Isabella, etwa sechs Wochen nach ihrem Verschwinden, ihrem Bruder einen kurzen Brief sandte, in dem sie ihm ihre Heirat mit Heathcliff meldete. Er schien trocken und kühl, aber unten war undeutlich mit Bleistift eine Entschuldigung hingekritzelt und die flehentliche Bitte um freundliches Gedenken und um Verzeihung, wenn ihr Verhalten ihn gekränkt haben sollte. Sie versicherte, sie habe damals nicht anders gekonnt, und da es einmal geschehen sei, habe sie jetzt nicht mehr die Macht, es rückgängig zu machen. Linton antwortete, glaube ich, nicht darauf; und nach weiteren vierzehn Tagen erhielt ich einen langen Brief, der mir sehr seltsam erschien, wenn ich bedachte, dass er aus der Feder einer jungen Frau stammte, die gerade die Flitterwochen hinter sich hatte. Ich werde ihn vorlesen; ich bewahre ihn immer noch auf. Jedes Andenken an Tote ist wertvoll, wenn sie zu Lebzeiten geschätzt wurden.
Er beginnt: Liebe Ellen, ich bin gestern abend nach Wuthering Heights gekommen und habe zum erstenmal gehört, dass Catherine sehr krank war und es immer noch ist. Ich vermute, dass ich ihr nicht schreiben darf, und mein Bruder scheint entweder zu ärgerlich oder zu betrübt zu sein, meine Briefe zu beantworten. Aber an jemand muss ich schreiben, und da kann meine Wahl nur auf Dich fallen.
Sage Edgar, ich würde die ganze Welt darum geben, wenn ich sein Gesicht wiedersehen dürfte. — Mein Herz ist nach Thrushcross Grange zurückgekehrt, vierundzwanzig Stunden, nachdem ich es verlassen hatte, und es weilt in diesem Augenblick dort voll innigen Mitgefühls für ihn und Catherine. Und doch kann ich ihm nicht folgen ( diese Worte sind unterstrichen), sie brauchen mich nicht zu erwarten und können daraus folgern, was sie wollen, nur sollen sie es nicht meinem schwachen Willen oder mangelnder Liebe zur Last legen.
Der Rest des Briefes ist für Dich allein bestimmt. Ich möchte zwei Fragen an Dich richten. Die erste ist: Wie hast Du es fertiggebracht, das Mitgefühl mit der menschlichen Natur Dir zu bewahren, als du hier lebtest? Ich kann bei diesen Menschen nicht eine einzige Gefühlsregung entdecken, die sie mit mir gemein hätten.
Die zweite Frage, die von großer Wichtigkeit für mich ist, lautet: Ist Mr.
Weitere Kostenlose Bücher