Emma und der Rebell
als
Fulton erschien, schon für die Bank gekleidet und mit einer Taschenuhr in der
Hand, die er nervös befingerte. Emma kannte das schon; es war ein schlechtes
Zeichen.
»Ich hörte,
daß Chloe einen Mann in ihrem Haus beherbergt«, sagte er steif. »Du weißt,
Emma, daß es mich nicht stört, wenn Big John Lenahan ab und zu bei ihr
vorbeikommt, aber ich ziehe die Grenze bei ...«
»Es ist
nicht dein Haus, Fulton« unterbrach Emma ihn kühl.
Er war so
verdutzt über die Unterbrechung, daß er bis unter den Haaransatz errötete. »Wie
dem auch sei, es paßt mir jedenfalls nicht, daß meine Verlobte unter dem
gleichen Dach schläft wie ein Kerl, der im Yellow Belly verkehrt.«
Emma ging
zur Tür und begann die zurückgebrachten Bücher einzusammeln. Dabei bemühte sie
sich, ein Lächeln zu verbergen. »Ich bin nicht deine Verlobte, Fulton«,
erinnerte sie ihn freundlich.
»Wer ist
er? Wie heißt er?«
Aus einem
Instinkt heraus beschloß Emma, Stevens Namen zu verschweigen. »Er ist nur auf
der Durchreise, Fulton«, sagte sie, während sie die Bücher zu ihrem
Schreibtisch trug und sie ordnete. »Er wird bald wieder fort sein.«
»Das möchte
ich auch sehr hoffen!«
Emma hielt
es für besser, das Thema zu wechseln. »Daisy wollte wissen, ob du heute abend
zum Essen kommst.«
»Du weißt
doch, daß ich an einem Wochentag nicht ausgehe.«
Emma
seufzte und schaute an Fulton vorbei in die Ferne. Er war auch gestern
ausgegangen, an einem Montag, aber sie sparte sich eine diesbezügliche
Bemerkung darüber. »Ja«, meinte sie nur und dachte an den Mann, den sie am
Abend zuvor verbunden und dem sie vorgelesen hatte. Sie fragte sich, ob er
jetzt wach sein mochte und seinen Kaffee trank, obwohl der inzwischen bestimmt
eiskalt war. Oder ob er wieder wütend nach seiner Waffe verlangte und fluchte,
weil keiner sie ihm geben wollte ...
»Warum
lächelst du so?« fragte Fulton gereizt.
Emma
sortierte gelassen ihre Bücher. »Nur so«, entgegnete sie ausweichend. »Aus
keinem bestimmten Grund.«
3
Joellen
Lenahan gehörte zu
den wenigen Menschen, die Emma überhaupt nicht leiden konnte. Joellen war erst
sechzehn, aber ihr Körper war der einer erwachsenen Frau, und auch ihr Verhalten
war alles andere als kindlich. Sie schien alle anderen weiblichen Wesen als
Bedrohung zu empfinden, derer man sich schleunigst entledigen mußte. Sie war
schön wie ein Engel mit ihrem goldblonden Haar und den kornblumenblauen Augen,
doch es war allgemein bekannt, daß Big John Lenahan, ihr Vater, verzweifelt
versuchte, sie zu verheiraten, bevor sie ihm Schande bereiten konnte.
Als Joellen
jetzt mit der Haltung einer Königin die Bücherei betrat, bedachte sie Emma mit
einem herablassenden Blick und fragte: »Gibt es irgendwelche Bücher hier, die
wir zu Hause noch nicht haben?«
Emma
versuchte, sich an ihre gute Erziehung zu erinnern, und staubte weiter die
Regale ab. »Da ich nicht weiß, welche Bücher Sie zu Hause haben, kann ich Ihre
Frage nicht beantworten.«
Doch
Joellen hatte schon eine Ausgabe von Thomas Hardys neuestem Roman auf dem
Schreibtisch entdeckt. »Das will ich haben!« erklärte sie und drückte
das Buch an ihren schon recht beachtlichen Busen.
»Tut mir
leid, aber das ist bereits bestellt.« Emma hatte es für Callie ausgesucht, was
sie natürlich nicht sagen konnte, da Joellen sich zweifellos als vorrangig
betrachtet hätte.
Das Mädchen
schob ärgerlich die Unterlippe vor. »Sie sind gemein, Emma Chalmers«, sagte sie
in einem weinerlichen Ton, der Emma maßlos auf die Nerven ging. »Sie mögen mich
nicht, weil ich aus einer anständigen Familie stamme und Sie ... na ja, weil
Sie eine Waise sind und in ... in schlechter Umgebung aufgewachsen sind.«
Emma war es
gewöhnt, durch Chloes Beruf falsch beurteilt zu werden, deshalb erwiderte sie
nichts. Außerdem mochte sie Big John, Joellens Vater. »Sie können das Buch
haben, wenn es zurückkommt«, sagte sie betont höflich.
Widerstrebend
legte Joellen den Roman zurück. Da sie es gewöhnt war, ihren Willen zu
bekommen, blitzten ihre Augen vor unterdrücktem Zorn. »Sie haben wahrscheinlich
sowieso nichts Vernünftiges zu lesen in diesem albernen kleinen Laden. Jeder
weiß, daß Chloe ihn nur eröffnet hat, damit Sie etwas zu tun hatten, weil die
Schulverwaltung Sie nicht als Lehrerin zugelassen hat. Es ist gar keine richtige Bibliothek.«
Emma versteifte
sich ganz unbewußt. Joellens Worte verletzten sie, aber das ließ sie sich
nicht anmerken. »Da dies keine
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