Emma und der Rebell
Röcke glatt und stand auf. Da Stevens Kleider völlig
zerfetzt waren, holte sie ihm rasch Big Johns Morgenrock aus Chloes Zimmer.
Mit
gemeinsamer Anstrengung gelang es ihnen, Steven aufzurichten. Als er endlich
stand, stöhnte er von der Anstrengung.
Auf der
Treppe mußten sie auf jeder Stufe haltmachen, und Emma zitterte vor Angst, daß
er stürzen und sich noch mehr verletzten könnte.
Daisy kam
aus der Küche, als sie das Erdgeschoß erreichten. Sie trug ihren Sonntagshut
auf dem Kopf und ihre Handtasche unter dem Arm.
»Du liebe
Güte, Miss Emma, bringen Sie den Mann sofort zurück!«
Emma
schüttelte den Kopf. »Mr. Fairfax braucht ein Bad.«
»Das gehört
sich nicht, Miss Emma!« entgegnete Daisy streng, ging zur Tür und zerstörte
damit Emmas Hoffnung, daß sie ihr mit Steven helfen würde. »Tun Sie nichts
Unschickliches, Miss Emma!« fügte Daisy stirnrunzelnd hinzu, bevor die Tür
hinter ihr ins Schloß fiel.
Die
Tatsache, daß sie nun ganz allein mit einem Mann im Haus war, der sich in
wenigen Minuten bis auf die Haut auszie hen würde, ließ Emma sich unbehaglich
fühlen. Aber daran war nichts mehr zu ändern. Steven die Treppe hinunterzubringen,
war zu mühsam gewesen, als daß Sie jetzt noch einen Rückzieher hätte machen
wollen.
Ein Blick
auf die Küchenuhr bewies, daß die Hälfte ihrer Mittagspause schon verstrichen
war. Und dabei hatte sie noch nicht einmal gegessen.
Ganz
langsam und vorsichtig führte sie Steven zu dem Raum, auf den Chloe so stolz
war. Außer dem Bad in der großen Villa auf dem Hügel, wo die Whitneys lebten,
gab es meilenweit kein anderes Badezimmer wie dieses hier.
Am Ende des
langen Korridors öffnete Emma die Tür, führte Steven hinein und half ihm, sich
auf den Deckel des Klosetts zu setzen, einer weiteren Errungenschaft moderner
Zeiten.
Emma drehte
ihm den Rücken zu und befestigte den Stöpsel in der Wanne. Als sie beide
Wasserhähne aufgedreht hatte und sich wieder zu Steven umdrehte, grinste er sie
an.
»Was ist?«
fragte sie verwirrt.
»Nichts.«
Sie
begriff, daß sie – sozusagen – ihren Po zur Schau gestellt hatte, und wurde
feuerrot. »Schuft«, sagte sie entrüstet.
»Ja – aber
sympathisch«, entgegnete er lächelnd. »Steigen Sie jetzt in die Wanne«, befahl
Emma ungeduldig. »Ich muß zur Bibliothek zurück und habe noch nichts gegessen.«
Steven
erhob sich mühsam und begann den Gürtel von Big Johns Flanellmantel zu lösen.
Emma drehte
sich blitzschnell um und legte die Hände über die Augen.
Steven
lachte. »Entschuldigung«, sagte er, und dann: »Ich brauche Sie, um meine
Verbände zu entfernen.«
Mit
abgewandten Blick ging Emma an ihm vorbei und holte eine Schere. Während sie
die Verbände entfernte, bemühte sie sich, nur auf den weißen Stoff zu schauen,
aber sie konnte trotzdem nicht umhin, einen verstohlenen Blick auf Stevens
kräftigen Brustkasten und seinen flachen Bauch zu werfen.
»Sie machen
das sehr gut«, lobte er. »Haben Sie schon einmal Verwundete gepflegt?«
Emma holte
tief Luft und atmete dann langsam wieder aus.
Das
Zimmer kam ihr heiß
und stickig vor, und wieder hatte sie das inzwischen schon vertraute Gefühl,
daß eine unsichtbare Kraft in ihr danach drängte, freigesetzt zu werden. »Vor
ein paar Jahren ist ein Stollen in einer Miene eingestürzt, und viele Männer
wurden verletzt. Chloe erlaubte mir, ihr zu helfen, sie zu versorgen.«
»Und wo war
Doc Waverly?«
»Er war
auch da«, entgegnete Emma verteidigend, weil sie Dr. Waverly mochte, trotz
seiner verhängnisvollen Vorliebe für den Whiskey. »Er hatte genug zu tun, das
können Sie mir glauben.«
»Wie kommt
es, daß Sie hier leben, Emma?«
Sie half
ihm bis zur Badewanne und wandte sich ab, als er sich auszog. Doch trotz ihrer
Bemühungen, nichts zu sehen, erhaschte sie einen kurzen Blick auf lange
behaarte Beine. »Chloe brachte mich nach Whitneyville, als ich noch ein kleines
Mädchen war.«
Steven
stöhnte, als er in das heiße Wasser stieg, und Emma wagte nicht, hinauszugehen,
aus Sorge, er könne das Bewußtsein verlieren und ertrinken.
»Chloe
scheint eine ... Dame der Nacht zu sein«, bemerkte er.
Emma
seufzte und wischte mit dem Ärmel über ihre feuchte Stirn. Ihr war unerträglich
heiß, und sie war erschüttert von den Gefühlen, die Stevens Nähe in ihr
auslöste. »Ja.«
»Ist sie
Ihre Mutter?«
»Nein«,
sagte Emma rasch. »Chloe ist ein viel besserer Mensch, als meine Mutter je
gewesen ist.«
»Das klingt
sehr bitter, Emma.«
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