Emma und der Rebell
Augen feucht vor Freudentränen, und zeigte ihr den Brief, von
dem sie gesprochen hatte.
Emma
stockte der Atem, als sie ihn öffnete. Es war nur eine kurze Nachricht, in
einer seltsam vertrauten Handschrift verfaßt, und unterschrieben mit > Kathleen Harrington < . Emma mußte die wenigen Zeilen zweimal lesen, bevor
sie begriff, daß ihre Mutter sie gefunden hatte, nach all den Jahren, und sie,
Emma, in ihrem Brief bat, zu ihr nach Chicago zu kommen. Ein Scheck über
siebenhundertfünfzig Dollar begleitete den Brief, in dem ihre
Mutter ausdrücklich vermerkt hatte, daß Emma das Geld verwenden konnte, wie es
ihr beliebte.
Emma setzte
sich in einen Sessel und schloß die Augen vor den Jahren der Qual, der
Verwirrung und des Zorns, die wieder vor ihr auferstanden, während sie
versuchte, Ordnung in den widerstreitenden Gefühlen zu schaffen, die sie
beherrschten.
18
Emma sah
zu, wie Steven
Kathleens Brief las und ihn dann auf den Tisch legte. »Es ist dir doch sicher
bewußt«, bemerkte er sanft, »daß sie – wenn es ihr gelungen ist, dich ausfindig
zu machen –, bestimmt auch Caroline und Lily gefunden hat?«
»Ja«,
erwiderte Emma leise. Sie hatte den gleichen Gedanken gehabt, doch angesichts
der vielen Enttäuschungen, die sie erlebt hatte, fürchtete sie sich fast davor,
neue Hoffnung zu schöpfen.
»Du mußt
deiner Mutter eine Chance geben, dir alles zu erklären«, riet Steve ernst. »Es
könnte sein, daß sie heute ganz anders ist, als du sie in Erinnerung hast.«
Emma
schüttelte den Kopf. »Ein Mensch wie sie ändert sich nicht, und nenn sie bitte
nicht meine Mutter. Diese Rolle hat Chloe übernommen. Ich will von Kathleen
Harrington nichts wissen.«
»Nicht
einmal, wo deine Schwestern sind? Nach all diesen Jahren und schon im Begriff,
Lily und Caroline zu finden, willst du jetzt plötzlich aufgeben?«
»Natürlich
nicht!« Emma sprang unruhig auf, trat vor den Kamin und drehte Steven den
Rücken zu. »Ich werde ihr schreiben und sie nach ihnen fragen.«
»Du
könntest nach Chicago fahren«, meinte Steven, der hinter sie getreten war und
ihr die Hände auf die Schultern legte. »Dann hättest du etwas zu tun, wenn ich
... während ich in New Orleans meine Angelegenheiten regele.«
Emma drehte
sich in seinem Armen um. »Ich liebe meine Schwestern, und ich möchte sie
unbedingt wiederfinden«, sagte sie, ihre blauen Augen flehend zu Steven
erhoben. »Ich hätte nie gedacht, daß mir einmal etwas wichtiger sein könnte als
sie«, fuhr sie, heiser vor innerer Erregung, fort. »Aber das war, bevor ich
dich kannte, Steven. Wir können nach dem Prozeß zusammen nach Chicago fahren.«
Er zog sie
in die Arme und hielt sie stumm umfangen, weil er wußte, daß sie ihre
Entscheidung getroffen hatte und es nichts gab, was sie davon abbringen konnte.
Luftschlangen und bunte Papierlaternen schmückten
Chloes Garten, auf einer Plattform am Ende der Rasenfläche spielte eine kleine
Kapelle. Damen in duftigen Organdykleidern und Männer in Sonntagsanzügen
drängten sich um die Tische, die mit dem Besten gedeckt waren, was Whitneyville
zu bieten hatte. Und überall rannten lachende, spielende Kinder zwischen den
Beinen der Erwachsenen herum.
In einem
tief ausgeschnittenen Kleid aus elfenbeinfarbener Seide mit weitem Rock und
schmal geschnürter Taille beobachtete Emma das muntere Treiben der
Stadtbewohner, die fast vollzählig zu Chloes Picknick erschienen waren. Aber
das war nichts Neues für Emma.
»Keiner von
ihnen würde auf der Straße mit ihr sprechen«, sagte sie zu Steven, der in einem
neuen Anzug an ihrer Seite stand und ein Glas Punsch in der Hand hielt. »Aber
wenn Chloe eine Party gibt, überschlagen sie sich geradezu, um daran teilnehmen
zu dürfen.«
Steven
legte ihr sanft einen Finger unter das Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich
herum. »Du wirst Chloe sehr vermissen, nicht?« fragte er.
Emma nickte
traurig.
»Ja. Ich
weiß nicht, ob ich ohne sie überlebt hätte. Sie war immer da, wenn ich sie
brauchte.«
Steven nahm
ihr das Glas aus der Hand, stellte auch sein eigenes fort und führte Emma zu
der hölzernen Plattform, die eigens für diese Party zurechtgezimmert worden
war. Dort zog er Emma in die Arme, und als sie zu den Klängen eines Walzers
über die Tanzfläche glitten, waren die anderen Gäste um sie herum vergessen.
Eine Weile
konnte Emma ihre Sorgen verdrängen. Aber das gelang ihr nur, wenn Steven sie
liebte oder wenn er ihr tief in die Augen sah wie jetzt. Für einen
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