Emma
begann mit
einer kleinen Einführung in die Philosophie der Agentur.
„Sehen
Sie, Signorina, wir sind der Auffassung, dass die gesamte Modeindustrie an der
Realität vorbei wirbt und zwar sowohl was die Konfektionsgrößen angeht als auch
das Alter der Models. Etwa sechzig bis fünfundsechzig Prozent aller Frauen
tragen Kleidergrößen, die man nie auf den Laufstegen oder in den Modemagazinen
zu sehen bekommt, das ist aus unserer Sicht vollkommen weltfremd. Und das Geld
zum Ausgeben haben in der Regel auch nicht die ganz jungen Damen, sondern eher die
Altersklasse Vierzig Plus. Das sind die eigentlichen Zielgruppen, denen
Designer und Hersteller ihre Produkte verkaufen wollen, und das gilt nicht nur
für den Binnenmarkt, sondern weltweit!“
Francesco
hielt inne und warf seinem Bruder einen Blick zu.
„Sie
sehen also“, nahm Leonardo das Stichwort auf, „wir schwimmen gegen den
Jugendwahn und die Size-Zero-Models an! Es hat da in den letzten Jahren
immerhin bereits ein gewisses Umdenken gegeben, ich erinnere mich an Schauen in
Mailand und Madrid, aber auch in London, bei denen sogar namhafte Labels
sogenannte Plus-Size-Models auf die Laufstege geschickt haben und damit zwar
nicht nur Applaus, aber immerhin eine ganze Menge Aufmerksamkeit und breite
Zustimmung ernteten. Und der Trend setzt sich weiter fort.“
„So
ist es“, übernahm nun Francesco Franceschini wieder das Wort.
Die
beiden schienen ein gut eingespieltes Team zu sein, schoss es Emma durch den
Kopf, und ihre Anspannung löste sich ein wenig, während sie ihnen zuhörte.
„Wir
haben es zu unserem Prinzip gemacht, diesem Trend auf unsere Weise und mit
unseren Mitteln nachzuhelfen, schließlich zieren normalgewichtige Frauen in
letzter Zeit immer häufiger auch die Titelblätter namhafter Magazine. Wir haben
einen großen Stamm an internationalen Kunden, die die gleiche Philosophie
vertreten wie unsere Firma. Wir möchten daran mitarbeiten, dass diese Bewegung
weiterlebt und immer wieder neuen Schwung erhält und das tun wir auch unter zu
Hilfenahme von neuen, reizvollen Gesichtern.“
„Wie
dem Ihren!“, ergänzte Leonardo mit einem bestätigenden Lächeln und fuhr fort.
„Dabei geht es uns nicht so sehr um absolute, frische, unverbrauchte Jugend,
denn man könnte sie auch als nichts sagend bezeichnen. Wir möchten Gesichter,
die Charakter und Persönlichkeit haben, wir möchten Noblesse und Eleganz, wir
suchen Persönlichkeiten mit Charisma und Ausstrahlung.“
Mit
jedem weiteren Begriff seiner Aufzählung war Emma versucht, ein Stückchen
tiefer unter den Tisch zu rutschen. Wenn diese Herren derartige Ansprüche an
ihre Models stellten, was wollte sie dann hier?
Leonardo
sprach indessen unbeirrt weiter, er schien ihre Verwirrung nicht zu bemerken.
„Wir
achten des Weiteren sorgsam darauf, dass alle Models, die wir unter Vertrag
nehmen, eine bestimme Gewichtsuntergrenze einhalten und uns ihre körperliche
Gesundheit regelmäßig ärztlich bestätigen. Dabei gehen wir noch ein gutes Stück
weiter, als viele unserer Kollegen, die bereits einen BMI von 18,5 oder sogar
18 als ausreichend erachten. Unsere Untergrenze liegt bei 20, mit weniger nehmen
wir daher niemanden unter Vertrag.“
Emma
hob überrascht die Brauen und riss die Augen auf – ein BMI von 20 war
fantastisch, doch ehe sie darauf etwas antworten konnte, öffnete sich die Türe
und die Dame, die sie empfangen hatte, schaute zu ihnen herein.
„Entschuldigt
bitte, aber - Francesco“, meinte sie halblaut, „es ist so weit! Dein nächster
Termin!“ Sie schenkte Emma noch ein warmes Lächeln und verschwand wieder.
Francesco
erhob sich und streckte Emma die Hand entgegen.
„Tut
mir wirklich leid, Sie jetzt schon verlassen zu müssen“, meinte er mit einem
entschuldigenden Schulterzucken, „aber dieser Termin war nicht aufschiebbar und
da in unserer Firma ohnehin mein Bruder für Personalangelegenheiten zuständig
ist, sind Sie bei ihm in den besten Händen!“
Er
nickte seinem Bruder zu und machte ihm ein Zeichen, das Emma nicht deuten
konnte, dann verließ er den Besprechungsraum.
„Signor
Pavone hat mir ja vorab schon einiges an Unterlagen gemailt“, nahm Leonardo den
Gesprächsfaden wieder auf, „aber ich denke, Sie haben auch noch etwas
mitgebracht, oder?“
„Ja,
natürlich!“
Emma
bückte sich zu ihrer großen Tasche, in die sie ihre Mappe gesteckt hatte, und
zog diese heraus.
„Wie
Sie sehen werden, sind nicht alle Fotos ganz neuen Datums“, erklärte
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