Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
gecoacht, um sie fit zu machen für den Wettbewerb gegen die großen Handelsketten. Wenn er von sich als einfachem Gemüsegärtner sprach, untertrieb er maßlos. Ich hatte noch nicht herausgefunden, ob er absichtlich tiefstapelte oder ob er sich wirklich so sah.
Wer weiß, was mit Kinsale geschehen wäre, wenn Sam nicht zurückgekommen, sondern in Dublin geblieben wäre, um Unternehmensberater zu werden und astronomische Summen in London zu verdienen. Ich musste grinsen, als ich ihn mir dabei vorstellte, wie er im smarten Anzug, glatt rasiert und stylisch frisiert irgendwelchen Vorständen vermeintlich kluges Zeug erzählte.
Ich putzte gerade das Gemüse, als Ralph hereinkam und sagte: »Wenn du so weitermachst, gewöhnen wir uns so sehr an dich, dass du leider nicht mehr gehen kannst.« Es sollte wie eine Warnung klingen, aber etwas Schöneres hätte er nicht zu mir sagen können. Gerade jetzt, da es mir besser ging, tat es so gut, diese Worte zu hören, denn endlich konnte ich sie annehmen. Ein klein wenig zwickte das schlechte Gewissen, weil ich mich immer noch nicht zu einer Entscheidung hatte durchringen können, wie lange ich bleiben wollte.
Ich lächelte ihn an.
»Oh, die Sonne geht auf!«, rief er und zwinkerte mir zu. »Schon jemand da?«
»Nein, alles ruhig. Sonst wäre ich nicht hier hinten.«
Er nickte und spähte in den Gastraum. »Heute Abend wird es wieder wild. Bist du bereit?«
Jetzt musste ich lachen. Jeden Freitag fanden sich Musiker, junge und alte, im Jacob’s Ladder ein und spielten zusammen. Und jeden Freitag war es brechend voll. Die Leute sangen und tanzten, als ginge am Wochenende die Welt unter. Das Jacob’s Ladder war mit Abstand das beliebteste Pub in Kinsale. Dabei hatte es auf den ersten Blick nichts Besonderes. Einfache Stühle und Tische aus dunklem Holz, die Wände bis zur Hälfte ebenfalls mit dunklem Holz getäfelt, darüber grün gestrichen. Ralph hatte, dem Namen des Pubs folgend, Strickleitern an der Decke angebracht, und die Wände waren mit Schiffstauen, Netzen, Steuerrädern und allem möglichen Kram verziert, der den Gästen sagen sollte, was sie längst wussten: dass sie am Meer waren. Die Beliebtheit war auch nicht einfach nur mit der Küche zu erklären. Es gab überall in Kinsale gutes Essen. Die Restaurants versuchten, sich gegenseitig mit ihren Gourmetangeboten zu übertreffen, um den guten Ruf des Städtchens bei den internationalen Touristen zu wahren. Trotzdem gingen die Leute zu Ralph. Vielleicht war es genau das, was Ralph auszeichnete: Er versuchte nicht, Eindruck auf andere zu machen. Er tat einfach, was er für richtig hielt. Das spürten die Menschen.
»Freu mich auf heute Abend«, sagte ich, und es war nicht einmal gelogen.
»Dann freu ich mich auch«, sagte Ralph und tätschelte mir die Schulter. Er war etwas unbeholfen, was das Zeigen von Gefühlen anging.
»Haben die neuen Gäste gesagt, wann sie ungefähr eintreffen?«
Er hob die Schultern. »Wie üblich waren sie sehr vage, haben aber versprochen, bis spätestens sechs Uhr hier zu sein. Mal sehen.«
»Hast du ihre Handynummern?«
»Nein. Ach, wozu auch? Die haben doch unsere Nummer.« Jetzt lachte er. »Junge Frau, du interessierst dich jetzt wohl richtig für meinen Laden! Die Lebensgeister sind erwacht. Was für eine Freude. Also, meine Philosophie ist – und sie wird dir wahrscheinlich nicht gefallen: Entweder die Leute kommen bis um sechs, oder sie kommen nicht. Ganz einfach. So groß ist der Andrang nun leider auch wieder nicht, dass ich bei jeder Buchung zwanzig anderen absagen müsste.« Wieder tätschelte er meine Schulter, dann ging er raus in den Schankraum, und ich schälte kopfschüttelnd Kartoffeln. In etwa einer Stunde würden die ersten Mittagsgäste kommen, und ich hatte noch so einiges zu tun. Es machte mir Spaß zu helfen, zu arbeiten, mich nützlich zu machen. Nicht nur, um Ralph und Mary einen Gefallen zu tun, sondern vor allem auch für mich selbst. Um etwas zu haben, was mir Routine gab und dadurch Halt. Sicherheit.
Ich war ganz versunken in meine Arbeit, als die Tür zum Schankraum aufgestoßen wurde. »Besuch für dich, Kate«, sagte Ralph.
»Für mich? Wer denn?«
»Keine Ahnung, wer es ist, aber sie will dich unbedingt sprechen.«
Ich überlegte, wer mich wohl besuchen würde. Eine Kollegin von der Uni? Eine Bekannte aus Cork? Es gab niemanden, über dessen Besuch ich mich gefreut hätte. Zu lange war nämlich keiner meiner früheren Bekannten für mich da
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