Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
macht er? Und was machst du?«
»Oh, ich kann mich im Moment nur um meine Kleine kümmern. Aber sag mal, weshalb ich eigentlich gekommen bin – wollen wir uns mal in Ruhe treffen? Nur wenn du willst! Wenn du Zeit hast. Ich weiß, ich überrumple dich hier …«
»Nein, überhaupt nicht!«, sagte ich. »Natürlich hab ich Zeit für dich. Und ich bin so neugierig, ich will alles von dir wissen! Wann sehen wir uns?«
Emma lachte, umarmte mich und drückte mich dabei ganz fest an sich. »Ich melde mich bei dir, ja? Ich weiß ja jetzt, wo ich dich finde.« Sie ließ mich los, griff in ihre Handtasche und reichte mir einen Zettel, auf den sie bereits ihre Telefonnummer geschrieben hatte. »Visitenkarten habe ich keine«, sagte sie entschuldigend.
Ich nahm den Zettel, riss ein kleines Stück davon ab und notierte in winziger Schrift meine Handynummer darauf. »Ich auch nicht«, sagte ich und grinste.
Sie grinste zurück. »Schön, dich wiederzusehen.«
»Find ich auch.«
»Ich muss leider los. Ich hab kein Auto, und der Bus fährt gleich.« Sie sah auf die Uhr. »Oh.«
»Beeil dich! Und wenn du ihn verpasst, komm wieder her.«
Sie winkte mir zu und lief aus dem Pub. Ich grinste immer noch wie ein kleines Mädchen, als sie längst weg war.
»Ne Freundin von dir?« Ich hatte Ralph gar nicht kommen hören.
»Von ganz, ganz früher«, sagte ich. »Damals war sie noch ziemlich moppelig. Du erinnerst dich vielleicht an sie. Emma. Wir waren in dem Sommer gemeinsam bei Margaret, bevor Mutter …«
»Oh, ja, Emma!«, rief er, bevor ich die Gelegenheit hatte, über das Wort »starb« zu stolpern. »Trägt immer noch Kleider, als wäre sie moppelig.«
»Sie hat vor Kurzem ein Kind bekommen.«
»Aaah.« Mein Onkel kratzte sich am Kinn und starrte an die Decke. »Ich erinnere mich. Bei Mary hat es ewig gedauert, bis sie ihren Schwangerschaftsbauch loswurde. Ein paar Wochen nach Sophies Geburt wollte sie sich was Neues zum Anziehen kaufen, und die Verkäuferin fragte: ›Wann ist es denn so weit?‹ Kam heulend aus dem Laden gerannt, die Arme. Und bei so einem dünnen Ding wie deiner Freundin fällt das natürlich besonders auf.«
Ich musste lächeln. Onkel Ralph, der schon immer ein Auge für schöne Frauen gehabt hatte, aber seiner Mary immer treu war, wie er behauptete. Und es gab niemanden, der sich etwas anderes vorstellen konnte.
»Zuletzt haben wir uns vor fünfundzwanzig Jahren gesehen. Ich habe sie nicht wiedererkannt, sie hat sich so sehr verändert. Sie ist richtig hübsch geworden!«
»Ihr wart doch damals richtig gute Freundinnen, nicht?«
»Die besten«, sagte ich.
Ralph winkte den ersten Gästen zu, die gerade reinkamen. »Ich koch euch mal was Schönes«, rief er und verschwand in der Küche.
Ich dachte noch lange über Emma nach. So eine Frühgeburt musste schlimm sein, mit vielen Sorgen und Ängsten verbunden. Vielleicht brauchte sie Tapetenwechsel, und es tat ihr gut, mit einer alten – uralten! – Freundin zu reden und ein wenig aufs Meer zu sehen. Früher, wenn Emma und ich uns etwas unbedingt gewünscht hatten, dann hatten wir die Hände ganz fest zu Fäusten geballt, die Augen geschlossen und dreimal hintereinander den Wunsch im Kopf aufgesagt. Ich kam mir albern vor, als ich dieses Kindheitsritual heimlich hinter der Theke wiederholte, aber ich wünschte mir in diesem Moment nichts mehr, als Emma ganz bald wiederzusehen.
Weißt du noch, unser erstes Schulfest? Ich hatte kein schönes Kleid. Meine Kleider stammten von meinen älteren Schwestern, die jüngste zehn Jahre älter als ich. Und sie hatte schon abgelegte Kleidung aufgetragen. Ich schämte mich jeden Tag, wenn ich zur Schule ging, aber ich gewöhnte mich daran. Als aber das Schulfest, mein erstes großes Fest, anstand, war ich verzweifelt. Du fandest mich heulend in einer einsamen Ecke auf dem Schulhof. Die anderen waren längst nach Hause gegangen, nur du warst noch da, weil du mich gesucht hattest. Wir gingen ja immer zusammen nach Hause. Du kamst also zu mir und konntest nicht begreifen, warum ich weinte, wo die Lehrerin doch an diesem Tag von dem Schulfest erzählt hatte. Ich sagte dir, dass ich nicht hingehen konnte, weil ich nichts zum Anziehen hatte. Und da sagtest du – ich weiß es noch wie heute: »Wieso ist dir denn so wichtig, wie du aussiehst? Mir ist das egal. Willst du mein Kleid haben?«
Dabei hattest du nur ein einziges gutes Kleid für besondere Anlässe. Ihr hattet ja auch nicht viel Geld. Aber du hast es mir
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